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International Die Apartheid nach der Apartheid in Südafrika

Apartheid: Dieses Wort steht für die jahrzehntelange Unterdrückung der Schwarzen durch die Weissen in Südafrika. Vor 20 Jahren, im April 1994, fand diese Diskriminierung offiziell ein Ende. Doch wo steht das Land heute?

1989 begann in Südafrika mit dem Amtsantritt von Frederik Willem de Klerk als Staatspräsident eine neue Ära. Unter dem Eindruck des Widerstands des inhaftierten Anti-Apartheid-Kämpfers Nelson Mandela, verschärften internationalen Drucks und wirtschaftlicher Zwänge leitete De Klerk eine Abkehr von der Rassentrennung ein.

Bei einem Referendum im März 1992 sprachen sich schliesslich 68,7 Prozent der Weissen für deren Abschaffung aus. Zwei Jahre später, im April 1994, durften die Schwarzen zum ersten Mal an einer Wahl teilnehmen. Es war ein Fest, ein einziges Spektakel. Knapp 20 Millionen Menschen wählten. Sie standen in kilometerlangen, sich windenden Schlagen vor den Wahllokalen, Schwarze und Weisse gemeinsam.

Befürchteter Bürgerkrieg blieb aus

Es ging friedlich zu und her. Es kam nicht zu einem Blutvergiessen, und es war auch nicht der Beginn eines Bürgerkriegs, wie es viele weisse Konservative befürchtet hatten. Der ANC (African National Kongress) erreichte auf Anhieb das absolute Mehr. Mandela, inzwischen ein freier Mann, wurde als erster schwarzer Präsident des Landes am Kap vereidigt. Die Wahlen waren der Auftakt für einen Neuanfang.

Doch sind die Gräben zwischen Schwarz und Weiss heute zugeschüttet? «In gewissem Sinne ja», sagt Dagmar Wittek. Sie ist Journalistin und lebt seit zehn Jahren in Südafrika. «Die Wahlen waren das Ende des institutionalisierten Rassismus. Vor dem Gesetz waren nun alle gleich, egal welcher Hautfarbe, Religion oder sexueller Präferenz.»

Tatsächlich änderte sich viel für die Schwarzen nach der Machtübernahme durch den ANC. «Aber das geschah nicht von heute auf morgen. So etwas dauert lange», erklärt Wittek. Damals lebte über die Hälfte der Bevölkerung in absoluter Armut. Heute sind es noch etwa 37 Prozent.

Eine neue Mittelschicht entsteht

«Früher gab es keine Aufstiegschancen für Schwarze», erinnert sich die Journalistin. Doch dann legte die Regierung ein Programm zum sozialen Ausgleich auf, das Black Economic Empowerment. Damit werden die ehemals Unterdrückten – Schwarze, Farbige und Asiaten – bevorzugt behandelt: «Es gibt zwar keine Quote in Südafrika. Aber mit dem Programm sollen demografisch repräsentative Strukturen entstehen.»

Südafrika in Zahlen

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In Südafrika leben rund 52 Millionen Menschen. Weisse manchen 9 Prozent der Bevölkerung aus. Jeder vierte Einwohner ist arbeitslos. Es ist zudem eines der Länder mit den meisten HIV-Infizierten: Schätzungsweise 6 Millionen Menschen sind betroffen.

Es hat dazu geführt, dass mehr Schwarze in Managementpositionen gerutscht sind, und dass sich die Eigentumsverhältnisse langsam verschieben. Inzwischen verdienen über vier Millionen der rund 52 Millionen Südafrikaner mehr als 1200 Schweizer Franken im Monat. «Die schwarze Mittelklasse wächst stetig an», bestätigt auch die Deutsche.

Und je besser die wirtschaftliche Lage im Land, desto leichter falle die Versöhnung, ist Wittek überzeugt. «Es ist wohl einfacher für einen Schwarzen, der nun bequem und gut lebt, Strom und Wasser und einen gut bezahlten Job hat, zu sagen, ich vergebe dir, als für jemanden, der in einer Wellblechhütte ums tägliche Überleben kämpft.»

Weiterhin getrennte Lebenswelten

Von einer Regenbogennation, wie sie Mandela proklamierte, ist man allerdings auch heute noch, 15 Jahre nach dem Rücktritt des 2013 verstorbenen Volkshelden, weit entfernt. «Ganz wenige Menschen pflegen über die Hautfarbengrenze hinweg Freundschaften», so Wittek. «Bildung und wie viel Geld man verdient, bestimmen, mit wem man zu tun hat.» Und in beiden Punkten sind Weisse, gefolgt von den Indern im Land, meist besser gestellt.

Innerhalb derselben Schicht vermischten sich Schwarz und Weiss einigermassen, beobachtete die Journalistin. «Wobei man auch sehen muss, dass das Erbe der Apartheid getrennte Lebenswelten sind.» Aber je mehr Schwarze in weissen Gegenden leben, desto grösser wird auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Nachbarn kennenlernen und sich Schwarze und Weisse näher kommen.

Ganz wenige Menschen pflegen über die Hautfarbengrenze hinweg Freundschaften.
Autor: Dagmar Wittek Journalistin

«Im Vergleich zu der Zeit vor 1994 ist das heutige Südafrika ein ganz anderes», lautet Witteks Bilanz. Spannungen zwischen Schwarz und Weiss wie vor 20 Jahren gebe es nicht mehr. «In Wirtschaft und Gesellschaft wird es sicher noch Jahrzehnte brauchen, bis die Apartheid ganz ausgemerzt ist. Aber es ist schon so etwas wie ein kleines Wunder geschehen: Das Land hätte genauso gut in Flammen aufgehen können.»

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