Die Offensive dschihadistischer Kämpfer zur Befreiung der syrischen Metropole Aleppo ist durch russische Luftangriffe gebremst worden. Die ganze Nacht über hätten intensive russische Luftschläge auf Aleppos Südwesten angehalten, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Russland unterstützt die syrische Führung, die ihrerseits erbittert versucht, die geteilte Stadt Aleppo zurückzuerobern. Syrische Regierungstruppen hatten den Belagerungsring um die östlichen Rebellenviertel Mitte Juli vollständig geschlossen. Schätzungsweise 250'000 bis 300'000 Menschen sitzen derzeit im Ostteil Aleppos
fest.
UNO will Hoheit über Fluchtkorridore
Die internationale Gemeinschaft forderte die Regierungstruppen auf, die Belagerung der Rebellenviertel zu beenden. Hilfsorganisationen warnen seit Tagen vor einer humanitären Katastrophe in Aleppo.
Nach russischen Angaben haben sich in den letzten Tagen mehr als 320 Zivilisten über sogenannte humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht. Inzwischen seien in der Stadt sieben solcher Korridore für humanitäre Hilfe eingerichtet worden, sagte der russische Generalleutnant Sergej Rudskoj in Moskau.
Am Donnerstag hatten die Streitkräfte die ersten Korridore geöffnet. Die Vereinten Nationen hatten Moskau aufgerufen, deren Verwaltung UNO-Experten zu überlassen. Rudskoj sagte, Russland unterstütze den Vorschlag, ging aber nicht weiter darauf ein.
Regierungstruppen starten Rückeroberung
Am Sonntag hatten die Rebellen eine Gegenoffensive gestartet, um den Belagerungsring aus regierungstreuen Verbänden zu durchbrechen. Ihr wichtigstes Ziel ist die Einnahme des von den Regierungstruppen gehaltenen Bezirks Ramussa, um eine neue Versorgungsroute zu öffnen.
Beteiligt an der neuen Offensive sind die einflussreiche Islamistengruppe Ahrar al-Scham und Dschihadisten wie die frühere Al-Nusra-Front, die sich nun Fatah al-Scham nennt. Den Aufständischen sei es zwar gelungen, an Boden zu gewinnen, erklärte die Beobachtungsstelle. Sie schafften es jedoch nicht, ihre Stellungen zu halten.
Mit Hilfe der russischen Angriffe hätten die Regierungstruppen fünf Stellungen zurückerobert, die die Rebellen seit Sonntag unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Die Beobachtungsstelle ist in Syrien breit vernetzt, ihre Angaben sind von unabhängiger Seite aber schwer überprüfbar.
Überraschungsangriff der Rebellen
Anders schätzt Riad Kawadschi, Gründer des Instituts für militärische Analysen im Nahen Osten und Golfraum (Inegma), die Lage ein: Er sagte, dass die Regierungstruppen von der Offensive der Gegner überrascht worden seien.
«Trotz der russischen Luftunterstützung konnten die Rebellen einige Gebiete mit einem Überraschungsangriff zurückerobern.» Teilweise seien Regierungstruppen umzingelt. «Luftangriffe richten im Strassenkampf wenig aus, wenn sie nicht präzise sind.»
Es gibt in Syrien ein Sprichwort: Wer Aleppo beherrscht, beherrscht Syrien.
Kampf auf Leben und Tod
Seit Beginn der jüngsten Offensive wurden laut der Beobachtungsstelle 50 Rebellen und verbündete Dschihadisten sowie Dutzende Regierungssoldaten getötet. Die islamistischen Kämpfer töteten derweil rund 30 Zivilisten bei Angriffen auf zwei Bezirke, die von Regierungstruppen gehalten werden. Unter den Getöteten waren mehrere Kinder.
«Dieser Kampf ist die letzte Chance für die Rebellen», erklärte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman. «Wenn sie verlieren, wird es schwierig für sie sein, einen neuen Angriff zu starten, um die Belagerung zu durchbrechen.» Auch für die Regierung sei der Kampf um Aleppo eine «Frage von Leben und Tod».
Syrischen Militärangaben zufolge sind rund 5000 Regierungssoldaten und verbündete Truppen an der Offensive beteiligt. Darunter sind auch iranische Kräfte und Mitglieder der libanesischen Hisbollah-Miliz. Nach Angaben der Beobachtungsstelle stehen sie in und um Aleppo ebenfalls mehreren tausend aufständischen Kämpfern gegenüber.