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Europa- und Schweizerflagge.
Legende: Schweiz-EU: Wie weiter? Keystone

International Die EU macht keine Kompromisse

Die Ausgangslage ist eigentlich klar: Die Schweiz will die Zuwanderung selbst regulieren – die EU besteht auf der vollen Personenfreizügigkeit. Im «Rundschau»-Interview nimmt EU-Chefdiplomat David O'Sullivan ausführlich Stellung und wird undiplomatisch deutlich.

Die Euroskeptiker haben bei der Europawahl am 25.Mai grosse Gewinne verzeichnet. Ihr gemeinsames Anliegen ist die Ablehnung der Masseneinwanderung. Die Schweiz hat dazu ebenfalls Nein gesagt. Viele Schweizer denken, der Erfolg der Euroskeptiker gebe der Schweiz mehr Spielraum um über eine Ausnahmeregelung bei der Personenfreizügigkeit mit der EU zu verhandeln. Ist das so?

Ich denke nicht. Es ist wahr, dass die Migration ein wichtiges Thema der Wahlen war, dass es diesbezüglich Ängste gibt – manche legitim, manche nicht. Denn gewisse Ängste basieren nicht auf Fakten. Problematisch an der Abstimmung vom 9. Februar ist nun, dass man Kontingente erwägt.

Die Personenfreizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und den assoziierten Ländern ist ein Grundprinzip der Verträge. Und die Frage von Kontingenten stellt sich nicht. Es wird in der EU bereits über die genauen Bedingungen der Personenfreizügigkeit debattiert: Wie lange man beispielsweise an einem Ort Wohnsitz haben muss um Sozial- oder Gesundheitsleistungen beziehen zu können. Dort gibt es immer Anpassungen.

Diese Fragen sind legitim und darüber kann diskutiert werden. Die Idee Kontingente einzuführen, wäre hingegen schlicht gegen die Verträge. Und somit nicht akzeptabel.

Sollte die EU nach der Europawahl nicht überdenken, ob es bei der Immigration Systemanpassungen braucht oder gar eine Limitierung nötig ist?

Jedes Land das Migranten aufnimmt, profitiert davon. Zahlen und Untersuchungen zeigen, dass die Immigranten viel mehr zur Wirtschaft beitragen als sie davon profitieren und dass die Missbräuche – von denen man immer spricht – nur eine ganz marginale Zahl der Immigration ausmachen. Die Diskussion darüber wird kommen. Aber sie muss auf der Basis der Realität geführt werden und nicht auf xenophober oder gar rassistischer Grundlage.

Ich verneine keinesfalls, dass es diesbezüglich eine Verunsicherung gibt und es eine echte Debatte darüber geben muss. Aber ich wiederhole: Die Personenfreizügigkeit ist ein Grundpfeiler der EU-Verträge. Über die genauen Bedingungen kann immer diskutiert werden. Aber meiner Meinung nach wird es weder bei den Mitgliedstaaten noch im Parlament – auch im neuen Parlament – eine Mehrheit geben, um die Verträge zu ändern, um mengenmässige Beschränkungen einzuführen.

In der Schweiz denkt man, dass es wegen der engen Beziehungen mit den EU-Nachbarstaaten die Möglichkeit gebe, einen besseren Deal bei der Personenfreizügigkeit auszuhandeln. Ist dies illusorisch?

Verhandlungen gibt es immer. Aber es gibt rote Linien, die man nicht überschreiten kann. Die Personenfreizügigkeit und die Akzeptanz des Prinzips der Freizügigkeit ist für die EU eine solche rote Linie. Alles, was diese rote Linie überschreitet, bringt Probleme.

Sie stammen aus Irland, ebenfalls einem kleinen Land. Wenn die Schweiz eine Einwanderung von 80‘000 bis 100‘000 Personen verzeichnet, entspricht dies fast einem Prozent der Bevölkerung. Verstehen sie, dass die Leute sagen: Das ist eine Masseneinwanderung, wir müssen etwas tun.

Persönlich verstehe ich das Problem ehrlich gesagt nicht. Denn es handelt sich um Personen, die zu Ihnen arbeiten kommen, die zum Reichtum der Schweiz beitragen. Diese Leute kommen nicht in die Schweiz, um auf Feldern zu campieren und von der Sozialversicherung zu profitieren, ohne etwas dafür zu tun.

Diese Leute werden von den Schweizer Unternehmen und der Gesellschaft gesucht. Wenn sie also eine prosperierende Zukunft haben wollen, dann ist diese Einwanderung unverzichtbar für die Schweiz. Ich verstehe also nicht, dass man ein Problem hat mit Leuten, die in die Schweiz arbeiten kommen, um zur Schweizer Wirtschaftsleistung beizutragen.

Irland hat nach 2004 seine Grenzen für Zuzüger aus den neuen EU Staaten offen gelassen. 250’000 Polen und 75‘000 Letten gab es. Diese Leute haben enorm viel zum Wohlergehen Irlands beigetragen. Die Leute in Irland erkennen dies an, dass sie viel beigetragen haben.

Europa braucht die Immigration. Wir befinden uns in einer ernsten demographischen Lage. Weltwirtschaften wie die USA, China oder Brasilien werden prosperieren, weil sie eine junge Bevölkerung haben, die als Wachstumsmotor fungiert. Wir können uns in Europa nicht abhängen lassen.

Volle Strassen und Verkehrsmittel, steigende Wohnungsmieten: Ist das der Preis, den man dafür akzeptieren muss?

Ich weiss es nicht, ich lebe nicht in der Schweiz.

Es wird wohl ähnlich sein in Irland.

Ich habe noch nie gehört, dass sich die Leute beschweren, dass es keinen Platz im Bus hat! Gut, dann müssen sie vielleicht ein paar Busse mehr anschaffen, was weiss ich. Aber mir scheint dies wenig verhältnismässig im Verhältnis zum enormen Beitrag, welche diese Migranten der Schweizer Wirtschaft leisten. Ich akzeptiere aber natürlich das Recht der Schweizer ihre Zukunft selber zu entscheiden. Wenn die Schweiz aber Verträge unilateral verändern will, stellt dies ein Problem dar.

Sehen sie eine Lösung in dieser schwierigen Situation nach der Abstimmung vom 9. Februar?

Die Diskussion über die Personenfreizügigkeit wird sehr, sehr schwierig. Bisher haben Yves Rossier und ich auch noch nicht über die Details gesprochen, weil es noch gar keine formelle Schweizer Position gibt. Solange gibt es auch keine formelle EU-Position. Diese folgt, sobald die Schweiz Vorschläge macht, wie man mit dieser neuen Situation umgehen kann.

Bei den anderen Dossiers – etwa bezüglich der institutionellen Fragen oder der Teilnahme der Schweiz an den verschiedenen EU-Programmen Erasmus – da findet man mit ein wenig Kreativität immer eine Lösung.

In der Schweiz steht mit der Ecopop-Initiative bereits das nächste Volksbegehren zur Diskussion, das die Einwanderung eindämmen will. Diese will die Einwanderung auf 0,1 Prozent begrenzen, was 16’000 Personen entspräche. Welche Konsequenze vonseiten der EU würde die Annahme dieser Initiative mit sich bringen?

Es geht nicht darum, was eine Initiative oder Entscheidung bei uns auslöst.

Die Schweiz hat ein Abkommen über die Freizügigkeit mit der EU unterzeichnet. Wenn die Schweiz dieses Abkommen ändern will, muss sie uns entsprechende Vorschläge machen.

Das Schweizer Volk muss sich bewusst sein: Wenn bei uns der Antrag über eine Änderung des Vertrags über die Personenfreizügigkeit eingeht, der für die EU nicht hinnehmbar ist und wir keine für beide Seiten akzeptable Lösung finden, dann wird eine ganze Reihe von damit verbundenen Verträge hinfällig.

Und dann beginnen wir damit, dass feingestrickte Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU aufzuschnüren. Das wird nicht auf unsere Initiative hin geschehen.

Das Schweizer Volk ist souverän und frei zu entscheiden. Es muss sich aber bewusst sein: Wenn sich diese Entscheide auf das Verhältnis mit der EU auswirkt, dann hat dies Konsequenzen und die muss man hinnehmen.

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