Seit mehr als einem Jahr beherrscht die Korruptionsaffäre und den staatlichen Mineralölkonzern Petrobras die brasilianische Politik. In den riesigen Korruptionsskandal sind dutzende Abgeordnete, Gouverneure und frühere Wahlkampfmanager sowie Unternehmensführer auf Regierungs- und Oppositionsseite verwickelt.
Insgesamt geht es um Schmiergelder und Veruntreuungen in Milliardenhöhe. Geld soll auch über Schweizer Konten geflossen sein. SRF-Korrespondent Ulrich Achermann erklärt, was es mit der neusten Zuspitzung des Skandals auf sich hat.
SRF News: Eine Zeitung in Brasilien schreibt, die Lage in Brasilien gleiche dem Ausbruch eines Vulkans. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ulrich Achermann: Das kann man durchaus so sehen. In Brasilien hat sich etwas Entscheidendes verändert: Traditionell verneigen sich die Brasilianer eher vor der Macht, doch nun haben sie damit begonnen, die Macht ganz massiv herauszufordern und sie zu hinterfragen. Entsprechend gehen nun tausende Menschen auf die Strassen.
Die Menschen in Brasilien protestieren schon seit Längerem. Was genau erregt denn jetzt den Zorn der Leute?
Es ist das Manöver, Ex-Präsident Lula da Silva zum Minister zu befördern. Er sollte ja Minister werden mit dem einzigen Zweck, ihn aus der Schusslinie der Staatsanwälte zu nehmen. Das hat die Stimmung im Volk nochmals dramatisch verschlechtert. Bekannt geworden ist dieses Manöver durch ein mit richterlicher Genehmigung abgehörtes Telefongespräch, das später in den Medien veröffentlicht wurde. Dadurch ist klar geworden, was es mit der Ernennung Lulas zum Minister auf sich hat.
Lula da Silva wehrt sich in einem offenen Brief gegen die Veröffentlichung der Telefongespräche. Wer spielt hier eigentlich gegen wen?
Es ist ein Kampf auf verschiedenen Ebenen. Einerseits hat die Regierung damit begonnen, die Staatsanwälte, die den Korruptionsskandal beim staatlichen Ölkonzern Petrobras untersuchen, ins Visier zu nehmen und die Ermittlungen zu verhindern. Auf der anderen Seite geht nun auch die Justiz in die Offensive, wie die Veröffentlichung des abgehörten Telefongesprächs zeigt. Zudem hat ein Richter mit einer superprovisorischen Verfügung die Ernennung Lulas zum Minister kurz nach dessen Ernennung wieder ausgesetzt.
Mitten im Strudel befindet sich auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Gegen sie wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Wird sie politisch überleben?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Parteien der Regierungskoalition beginnen damit, ihr den Rücken zu kehren. So verliess am Donnerstag eine kleinere Partei die Koalition und der grosse Regierungspartner hat sowieso angekündigt, dass er das Boot verlassen wolle. Mit der Dynamik, die die Krise inzwischen angenommen hat, wird das eher früher als später geschehen.
Auslöser der ganzen Krise ist der Korruptionsskandal rund um Petrobras. Inzwischen zieht die Affäre sehr weite Kreise bis in die Opposition hinein. Welche politischen Alternativen hat Brasilien denn überhaupt noch?
Wahrscheinlich wird die Regierung und vor allem Präsidentin Rousseff zurücktreten müssen. Danach kommt ziemlich sicher die Opposition ans Ruder, falls nicht der scheidungswillige derzeitige Vizepräsident an die Macht kommt. Doch wenn Rousseff und Lula gehen, heisst das nicht, dass die Bösen verschwinden und die Guten kommen. Brasilien hatte schon immer ein Riesenproblem mit der Korruption. Irgendwann wird man sich deshalb zusammenraufen und definieren müssen, wie man sich aufstellen will, damit die Korruption systematisch ausgerottet werden kann.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.