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International «Die Kurden sind bereit, für Kobani zu sterben»

Seit Wochen wird Kobani von der Terrormiliz IS belagert. Die Bewohner der syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei leisten den Terroristen heftigen Widerstand. Kurt Pelda hat Kobani vor wenigen Tagen besucht. Im Interview schildert er seine Eindrücke.

SRF: Was haben Sie in Kobani beobachtet – wie nah sind die IS-Terroristen an die kurdische Stadt herangerückt?

Kurt Pelda

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Der Schweizer Kurt Pelda arbeitet seit 30 Jahren als Kriegsreporter. Er berichtet unter anderem für SRF, «Spiegel» und «Weltwoche» von den Brennpunkten dieser Welt – darunter Afghanistan, Libyen und Syrien.

Kurt Pelda: Sie sind nur noch wenige Kilometer vom Stadtrand entfernt. Die IS-Kämpfer rücken langsam, aber stetig vor und sind nun auch in der Lage, die Stadt mit schweren Mörsern zu beschiessen. Die richten jetzt in Kobani auch mehr Schäden an.

Wie gehen die Menschen in Kobani mit dieser bedrohlichen Situation um?

Die Moral der Leute, die dort ausharren – und zum Teil aus der Türkei zurückgekehrt sind – ist hoch. Sie sind bereit, für ihre Stadt zu sterben. Sie könnten zwar relativ einfach in die Türkei fliehen, die Stadt liegt ja direkt an der Grenze.

Gibt es trotz der Bedrohungslage denn noch eine Art Alltag in Kobani?

Ja. Viele Aussenquartiere sind zwar ziemlich ausgestorben, aber an der Hauptstrasse sind die Geschäfte geöffnet, es gibt Kebab-Stände und manchmal sogar einen Verkehrsstau.

Das türkische Parlament entscheidet heute, ob die Armee im Grenzgebiet auf syrischer Seite eingreifen soll. Wollen die Menschen in Kobani denn überhaupt Hilfe von türkischen Truppen?

Natürlich haben die Kurden ein grosses Misstrauen gegenüber der Türkei. Man darf nicht vergessen, dass die kurdische PKK seit 30 Jahren einen Krieg gegen die Türkei führt. Und die PKK ist mit den kurdischen Kämpfern in Syrien liiert. Es wird sich erst nach einer allfälligen Invasion von türkischen Soldaten zeigen, ob die Aktion gegen die Kurden gerichtet ist oder ausschliesslich gegen den IS. Vorstellbar ist auch, dass die Türken gegen beide Gruppen vorgehen. Davor haben die Kurden grosse Angst.

Ist die Angst berechtigt?

Aus Sicht der internationalen Koalition, die gegen den IS kämpft, würde es überhaupt keinen Sinn machen, wenn die Türkei nun gegen eine der wichtigsten Gruppen vorgeht, die gegen den IS kämpft – und das sehr erfolgreich. Die kleine Stadt Kobani leistet seit zwei Wochen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner. Wenn man dies mit der irakischen Armee in Mossul vergleicht, die innerhalb weniger Stunden völlig zusammenbrach, dann wäre es eine Riesendummheit, die Kurden jetzt zu schwächen. Denn sie zählen zu den entschiedensten und stärksten Gegnern des IS.

Wir hier im Westen erhalten nur wenige Informationen aus dem Kriegsgebiet und diese sind meist verzerrt. Wie nehmen Sie, nachdem Sie die Situation vor Ort nun mehrmals selber erlebt haben, dies wahr?

Die westlichen Medien fallen immer öfter auf Falschmeldungen des IS herein. Man übernimmt die Propaganda ungefiltert. Ein Beispiel: Gestern veröffentlichte der IS das Bild einer Strassensperre, an der eine IS-Fahne weht. Ich kenne diese Stelle, ich bin mehrfach daran vorbei gekommen. Nun geht aus dem Foto ganz klar hervor, dass es gefälscht ist. Denn es stellt die örtliche Situation seitenverkehrt dar. Die westlichen Medien haben also die Tendenz, den IS hochzujubeln, obschon er vielleicht gar nicht so stark ist, wie er sich gibt. Andererseits gibt es die kurdische Propaganda. Sie versucht die Türkei als ein Land darzustellen, das mit dem IS unter einer Decke steckt.

Sie haben Sie sich im belagerten Kobani überhaupt bewegen können? Wie haben Sie ihre Sicherheit sichergestellt?

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Für die Sicherheit waren die kurdischen Kämpfer zuständig. Es kam aber auch vor, dass mich Bewaffnete auf der Strasse ansprachen und sagten ‹schau, dort vorne liegen zwei tote IS-Kämpfer, wir fahren dich hin›. Die Leute waren extrem gastfreundlich und überrascht, einen westlichen Journalisten mit einer TV-Kamera zu sehen. Sie empfanden meine Anwesenheit als moralische Unterstützung und sahen dies als Zeichen an, dass die Welt sie nicht ganz vergessen hatte. Die Arbeit in Kobani war für mich wesentlich einfacher als in Gebieten in Syrien, die von arabischen Rebellen kontrolliert werden. Dort gibt es immer verschiedene Kampftruppen und man weiss nie, ob man von der einen oder anderen nächstens entführt wird. Ich habe mich in Kobani ziemlich sicher gefühlt.

Wie verlief ihre Rückkehr aus Kobani?

Das gefährlichste ist die Überquerung der türkischen Grenze. Das kann man nur in der Nacht machen, es hat Minenfelder und viele türkische Patrouillen. Wir mussten beim Rückweg nur wenige Meter hinter einem türkischen Panzer über die Grenzbefestigung klettern und weglaufen. Die Soldaten schiessen auch auf Eindringlinge und man kann ja nicht erwarten, dass die Soldaten erkennen, dass sie es mit einem Schweizer Journalisten zu tun haben. Ich habe selber auch einen Toten gesehen, der von türkischen Grenzsoldaten erschossen wurde.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

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