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 Der amerikanische Präsident Obama und der israelische Premier Netanjahu
Legende: Skeptischer Blick: Der amerikanische Präsident Obama und der israelische Premier Netanjahu bei einer Pressekonferenz. Keystone

International Die schleichende Entfremdung

Der Streit um den Besuch Netanjahus zeigt: Die USA und Israel sind sich in vielen Punkten nicht mehr einig. Die Beziehung habe aber schon früher Schaden genommen, sagt Historiker Siegfried Weichlein. Israel habe für die USA an Bedeutung verloren.

Die besten Freunde waren sie nie, und sie werden es wohl auch nicht mehr werden: Der amerikanische Präsident Barack Obama und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu. Der aktuelle Besuch Netanjahus in Washington sorgt im Weissen Haus für Ärger. Es ist allerdings nur der letzte Tiefpunkt in einer Serie von Unstimmigkeiten.

Zwar sind die Beziehungen zwischen den USA und Israel immer noch eng. So betrug beispielsweise die Militärhilfe, die Jerusalem von Washington erhielt, im Jahr 2013 rund 3 Milliarden Dollar. Und Washington kritisiert die Besatzungspolitik Israels zwar, belässt es aber bei Worten.

Siegfried Weichlein

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Weichlein ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Sein Spezialgebiet sind die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Nationalismusforschung sowie die Geschichte des Kalten Krieges.

Die Verantwortung des Westens

Dennoch: Das Verhältnis zwischen den USA und Israel hat sich abgekühlt. «Das ist nicht eine Entwicklung der letzten Jahre, sondern hat schon weit früher angefangen», sagt der Historiker Siegfried Weichlein. Ein Grund dafür sei, dass sich die Interessen der USA nach dem Kalten Krieg verändert hätten. Ein anderer Grund sei die innenpolitische Konstellation in Israel. – Doch der Reihe nach.

Bei der Gründung im Jahr 1948 waren die Sympathien für Israel in den USA gross. Einerseits fühlte sich die westliche Welt nach dem Holocaust dafür verantwortlich, den Juden eine Heimat zu geben. Andererseits setzten sich diejenigen Juden, die in die USA ausgewandert waren, in der Ferne für ihr «Heimatland» ein.

Sozialismus in Israel

In Israel wiederum war die Begeisterung für die USA nicht ungeteilt. «Viele linke Juden, die aus Osteuropa gekommen waren, sympathisierten mit dem Sozialismus», sagt Weichlein. Wobei der Kibbuz als Paradebeispiel für den gelebten Sozialismus gelten darf.

Es ist der Kalte Krieg, der die USA und Israel auch militärisch näher bringt. Weil sich die arabischen Staaten mit Gamel Nasser an der Spitze auf die Seite der Sowjetunion schlagen, wird Israel der natürliche Verbündete der USA in der Region. «Dabei ging es nicht so sehr um Israel selber, als vielmehr um einen West-Ost-Konflikt», sagt Weichlein.

Lars-Erik Cederman

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Cederman ist Professor am Institut für Konfliktforschung an der ETH Zürich. Seine Spezialgebiete sind die Theorie der internationalen Beziehungen, Nationalismus und historische Soziologie.

Von Feinden umzingelt

Gleichzeitig identifizieren sich viele Amerikaner mit Israel, wie Lars-Erik Cederman vom Institut für Konfliktforschung der ETH ausführt: Sie sehen darin einen kleinen, von Feinden umzingelten Staat; dazu die einzige Demokratie weit und breit. Es ist die Zeit, als die gegenseitigen Beziehungen einen Höhepunkt erreichen.

Diese Wahrnehmung ändert sich nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Nun ist Israel nicht mehr Opfer, sondern Kriegsgewinner und vor allem: Besatzer. Was in den USA wiederum dazu führt, dass sich einige Linke nun von Israel distanzieren.

Die Wende ändert alles

Doch es ist das Ende des Kalten Krieges, das die Wende bringt: Mit dem Ende der Sowjetunion verliert Israel für die USA an strategischer Bedeutung als einziger echter, dauerhafter und verlässlicher Alliierter im Nahen Osten. Dafür nähert sich Washington im Rahmen des zweiten Golfkriegs 1991 den arabischen Staaten an, unter denen sie Verbündete gegen Saddam Hussein suchen. «Israel wird für die USA somit weniger wichtig, während die arabischen Staaten an geostrategischem Gewicht gewinnen», sagt Weichlein.

Gleichzeitig findet in den 90er-Jahren in der israelischen Politik selber ein Wechsel statt, der zu einer gewissen kulturellen Entfremdung von den USA führt: «Die linke Elite von Juden osteuropäischer und russischer Herkunft wird abgelöst durch Juden arabischer Herkunft», sagt Weichlein. «Sie bilden Parteien, haben andere Geschichtsbilder, eine andere Orthodoxie – und der Holocaust steht bei ihnen nicht mehr an erster Stelle.»

Israels Sicherheitspolitik kommt bei Republikanern gut an

Das Verhältnis zwischen den USA und Israel ist heute also nicht mehr so ungetrübt wie einst. Dennoch: In vielen Bereichen decken sich ihre Interessen. Gerade die Republikaner können sich mit der Politik Netanjahus, die auf militärische Stärke und Abgrenzung gegenüber den arabischen Nachbarn setzt, gut identifizieren. Und auch wenn unter den Demokraten die Unterstützung für Israel sinkt, stimmen auch sie beispielsweise der amerikanischen Militärhilfe für Israel regelmässig zu.

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ETH-Professor Cederman glaubt, dass für die fortwährende Unterstützung Israels nicht zuletzt die amerikanische Israel-Lobby AIPAC verantwortlich ist: Das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC). Die Organisation berate und beeinflusse Politiker beider Parteien, wann immer es um die amerikanische Israel-Politik gehe. «Dabei gibt AIPAC vor, für ganz Israel zu sprechen. In Tat und Wahrheit vertritt sie aber sehr konservative Positionen und steht Premier Netanjahu nahe.»

Angst vor Lieberman

Historiker Weichlein macht einen anderen Grund aus: «Die historische Verpflichtung der USA wiegt noch immer schwer.» Zudem wisse Netanjahu sehr wohl, dass für die USA eine Regierung unter dem rechtsnationalistischen Avidgor Lieberman ein viel grösseres Problem wäre als die jetzige Regierung: «Diese Karte spielt Netanjahu natürlich aus.»

Doch zeige die Kritik an Israel auch, dass innerhalb der US-Regierung diese Unterstützung keineswegs unumstritten sei. «Vor allem im Pentagon gibt es Stimmen, die darauf drängen, den strategischen Interessen der USA Priorität einzuräumen.» Diese seien unter Präsident Obama stärker geworden. «Weil er nicht mehr zur Wiederwahl steht, kann er sich eine solche Politik erlauben.»

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