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Ukrainische Soldaten sitzen bewaffnet auf einem Panzerfahrzeug.
Legende: Das Militär ist in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk omnipräsent. Keystone

International Die Ukraine geisselt die eigene Bevölkerung

Die Ukraine verschärft die Wirtschaftsblockade gegen die Rebellengebiete. Rente, Kindergeld oder Sozialhilfe erhält nur noch, wer auf ukrainisch kontrolliertem Territorium lebt. Eine fragwürdige Politik, denn sie trifft die eigenen Bürger.

Nachmittag in Kramatorsk: Die Stadt in der Ostukraine liegt eine gute Autostunde von der Front entfernt auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Das Militär ist omnipräsent, und viele Flüchtlinge aus den Separatistengebieten haben hier Unterschlupf gefunden.

Etwa ein Dutzend dieser Übersiedler steht im engen Empfangsraum der Kramatorsker Sozialbehörde. Die meisten haben das gleiche Problem wie Denis, ein Mann um die 30, der nur seinen Vornamen nennt: «Meine Mutter ist auf der Liste des Geheimdienstes gelandet. Ihr wurden Sozialhilfe sowie Rente gestrichen. Ich versuche jetzt herauszufinden, was hier los ist.»

Kein Geld für «Terroristen»

Rund 40 Franken Rente und 30 Franken Flüchtlingshilfe hat der ukrainische Staat bisher monatlich an die Mutter von Denis bezahlt. Jetzt ist das Geld blockiert, weil die Frau im Verdacht steht, auf Gebiet zu leben, das von Separatisten kontrolliert wird. «Kampf gegen Schein-Uebersiedler» nennen die ukrainischen Behörden diese Praxis. Betroffen sind über 150 000 Ostukrainer.

Bisher konnten sich Ukrainer, die auf Rebellengebiet leben, auf ukrainischem Gebiet als Flüchtlinge melden und haben dort Rente oder Kindergeld bekommen. Schon das war für die Betroffenen mühselig. Sie mussten jeden Monat einmal über die Frontlinie - vorbei an Minenfeldern und unzähligen Checkpoints.

Jetzt erhält nur noch Geld, wer auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet lebt. Man wolle verhindern, dass mit ukrainischem Geld «Terroristen» unterstützt würden, so der Sozialminister.

Diese Politik fördert nicht gerade die Loyalität gegenüber dem ukrainischen Staat.
Autor: Alexander Woroschkow Chef von SOS-Kramatorsk

Alexander Woroschkow kann ob dieser Praxis nur den Kopf schütteln. Er ist Chef der NGO «SOS Kramatorsk», die sich um Flüchtlinge kümmert: «Diese Politik fördert nicht gerade die Loyalität gegenüber dem ukrainischen Staat. Die Übersiedler sind extrem verunsichert. Manche Leute scherzen schon: diese Politik habe sich der russische Geheimdienst ausgedacht, um die Ukraine zu diskreditieren.»

Doch es gibt auch Leute, die den harten Kurs der Regierung stützen. Oksana Muravlowa ist selber aus den Rebellengebieten vertrieben worden. Jetzt leitet sie in Kramatorsk einen ukrainischen Kultur-Verein. Man hätte die Zahlungen an Leute, die jenseits der Front leben, schon lange blockieren müssen, sagt sie. «Die Rentner in den Separatistengebieten sind ja ans sogenannte Unabhängigkeits-Referendum gegangen. Sie haben gerufen: Putin komm! Jetzt haben sie erhalten, was sie sich gewünscht haben.»

Aus ukrainsicher Sicht ist die verschärfte Blockade der Rebellengebiete also auch eine Reaktion auf die anhaltende russische Aggression. Moskau versorgt die abgespaltenen Gebiete nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Geld und unterstützt sie politisch. Diese Einmischung von Aussen verstärkt in der Ukraine die Abwehrhaltung: «Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.» So lautete das Motto - auch wenn dabei die eigene Bevölkerung zu Schaden kommt.

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