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International «Die Urteile sind nicht in Stein gemeisselt»

Erneut sind hunderte Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mursi in Äygpten zum Tode verurteilt worden. Ob sie vollstreckt werden, steht wohl auf einem anderen Papier. SRF-Korrespondent Pascal Weber schliesst nicht aus, dass es sich um Einschüchterungsversuche des Richters handelt.

Im grössten Massenprozess der ägyptischen Geschichte sind 683 Islamisten zum Tode verurteilt worden. Ein Gericht in der oberägyptischen Stadt Minia sprach die Angeklagten wegen der Teilnahme an gewalttätigen Protesten und wegen Mordes schuldig. Unter den Verurteilten ist auch das Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie. Vor dem von Sicherheitskräften abgeriegelten Gerichtsgebäude brachen Angehörige der Islamisten in Tränen aus.

Urteile in Abwesenheit

Bereits vor einem Monat waren in Minia 529 Islamisten zum Tode verurteilt worden – davon wurden nun 37 Urteile von demselben Gericht bestätigt.

Nach Angaben von Anwälten wurden alle übrigen Todesstrafen in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Nach Angaben der Verteidiger wurden die meisten Angeklagten in Abwesenheit verurteilt. Denn nur 70 der am Montag schuldig gesprochenen Islamisten befänden sich im Gewahrsam der Justiz.

Kassiert die nächste Instanz die Urteile?

Für Pascal Weber in Kairo sind die Todesurteile jedoch nicht in Stein gemeisselt. «Alle vermuten, dass das Kassationsgericht sämtliche Urteile kassieren und dass ein neues Verfahren unter einem neuen Richter eingeleitet wird», sagt er.

Auf die Frage, was dieser Richter in Minia mit den Todesurteilen bezwecken wolle, antwortet Weber: «Vermutlich handelt es sich um Einschüchterungsversuche gegen all jene, welche sich nicht dem neuen Militärregime anschliessen wollen». Doch dieser Plan wird laut Weber nicht aufgehen. «Am Ende führen die Urteile hier vielmehr zu einer noch explosiveren Stimmung als vor den Urteilen».

Das letzte Wort hat der Mufti

Weil die Anklageschrift mehr als 1200 Personen betraf, war das Verfahren von Anfang an aufgeteilt worden. Die Richtersprüche sind noch nicht rechtskräftig. Todesurteile müssen zudem von Ägyptens Mufti – dem obersten islamischen Rechtsgelehrten – bestätigt werden.

Demokratiebewegung verboten

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Ein ägyptisches Gericht hat die demokratische Jugendbewegung «6. April» verboten. Laut Justiz wurde das Verbot aufgrund einer Beschwerde wegen Diffamierung des Staates und Zusammenarbeit mit ausländischen Parteien ausgesprochen. Die Bewegung «6. April» war massgeblich am Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak im Februar 2011 beteiligt.

Die Islamisten hatten im Sommer 2013 in der Provinz Minia gegen die Entmachtung des aus der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär demonstriert. Sie sollen unter anderem in der Ortschaft Al-Idwa eine Polizeistation gestürmt und einen Sicherheitsbeamten getötet haben.

Mursi-Anhänger waren damals im ganzen Land gegen die Absetzung des gewählten Staatschefs auf die Strassen gegangen. Nach der blutigen Zerschlagung ihrer Protestcamps in Kairo und Alexandria durch die Sicherheitskräfte mit mehr als 1000 Toten kam es auch in der Provinz Minia zu massiven Unruhen mit Dutzenden Todesopfern.

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