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Russische Hooligans
Legende: Sicherheitskräfte versuchten im Stadion russische Hooligans zu beruhigen. Keystone

International «Durchtrainierte Kampfsportler, die nur ein Ziel haben»

Nach den Strassenschlachten in Marseille zwischen russischen und englischen Hooligans herrscht in Frankreich Konsternation. Das Grossaufgebot an Sicherheitskräften für die EM wurde völlig überrollt. Nicht ganz überraschend, findet der französische Hooligan-Experte Sébastien Louis.

Der französischer Hooliganismus-Experte Sébastien Louis hielt sich am Samstag in Marseille auf. Er bestätigt erste Analysen der Polizei, wonach russische Hooligans einen gezielten Angriff auf englische Fans geplant hätten.

Alles sei sehr schnell abgelaufen, bis in alle Details vorgeplant. Bevor die Polizei eingreifen konnte, seien viele russische Hooligans wieder abgetaucht. Das erklärt auch, weshalb die Behörden fast ausschliesslich englische Randalierer, aber keine russischen Gewalttäter festnehmen konnten. Dieses Szenario und die grosse Gewaltbereitschaft der russischen Hooligans habe ihn nicht überrascht: «Die russischen Hooligans wollten ihre Stärke demonstrieren und ihren früheren Vorbildern, den englischen Hooligans, zeigen, dass sie die neuen Machthaber sind.»

Erst vor wenigen Wochen hat Louis ein Sammelband zum Hooliganismus in Europa veröffentlicht. In den letzten Jahren habe sich insbesondere in Osteuropa und Russland bei den Hooligans eine enorme Gewaltbereitschaft entwickelt, die mit dem Hooliganismus der 80er- und 90er-Jahre in Grossbritannien nicht mehr vergleichbar sei. «Das sind alles durchtrainierte Kampfsportler, die sich in Boxclubs vorbereiten, keinen Alkohol trinken und nur ein Ziel haben: sich mit anderen Hooligans bis aufs Blut zu schlagen», so Louis' Erkenntnis.

Schlecht vorbereitete Polizisten?

Darauf sei die französische Polizei schlecht vorbereitet, kritisiert der Experte. Englische Polizisten in Zivil hätten ihre Fans begleitet und die französischen Sicherheitskräfte vor Ort in Marseille unterstützt. Das hätte relativ gut geklappt.

Solche «Spotter» aus Russland konnte Louis in Marseille aber nicht erkennen. «Ich beobachtete Schlägereien, bei denen während einer Viertelstunde kein einziger Polizist auftauchte.» Das werfe Fragen dazu auf, wie die Verantwortlichen bei der Polizei die EM vorbereitet hätten. Möglicherweise hätten sie sich zu stark auf das Verhindern von Terroranschlägen konzentriert. Zudem habe die französische Polizei kaum Erfahrungen im Einsatz gegen Hooligans in Frankreich.

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Versäumnisse nicht mehr aufzuholen

«Die französischen Polizisten wurden schlecht auf solche Szenarien vorbereitet», meint Louis. «Sie mussten sich auf die Terrorbekämpfung konzentrieren und stehen daher im Dauereinsatz, seit Monaten.» Dieses Versäumnis könne nicht einfach und vor allem nicht rasch wettgemacht werden, glaubt der Experte.

Er geht davon aus, dass die Verantwortlichen als Reaktion einfach die Zahl von Polizisten an den Spielorten noch einmal massiv erhöht – im Wissen darum, dass solch wüste Strassenschlachten wie in Marseille damit kaum zu verhindern sind.

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