Die vorgezogene Parlamentswahl in Serbien hat am Sonntag zu einem politischen Erdbeben mit einer neu gestalteten Parteienlandschaft geführt. Erstmals seit 14 Jahren erreichte der bisherige Vize-Regierungschef Aleksander Vucic mit seiner Fortschrittspartei (SNS) die absolute Mehrheit. Die SNS wird im Parlament 157 der 250 Abgeordneten stellen.
Nachdem das Wahlresultat bekannt geworden war, sei die Stimmung ruhig geblieben, erzählt Walter Müller, SRF-Osteuropa-Korrespondent. «Es war als ob Serbien für einen Moment lang in Schockstarre gefallen wäre. Die einen wegen der brutalen Niederlage, die anderen wegen dem unerwartet hohen Sieg.»
Abstrafung der Opposition
Die bisherige Opposition erlebte einen Absturz. Die Nationalisten (DSS), die Liberalen (LDP) und die Regionalpartei URS scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Die führende Oppositionspartei DS, einst langjährige Regierungspartei, erlitt ebenfalls eine herbe Niederlage. Sie hat es knapp ins Parlament geschafft.
Selbstherrlich und korrupt sei die ehemalige Regierungspartei geworden. «Auch ihr ehemaliger Parteipräsident Boris Tadic hat dazu beigetragen, dass die Demokraten derart wenig Stimmen erhalten haben», sagt Walter Müller. Tadic hat kürzlich eine eigene Partei gegründet. Diese hat fast gleichviele Stimmen erzielt wie die Demokraten.
Personal der 90er wieder am Drücker
Dass Vucic mit seiner Fortschrittspartei nicht nur die absolute Mehrheit im Parlament, sondern auch die Hauptstadt Belgrad unter seine politische Kontrolle bringen konnte, liegt daran, dass ein Grossteil der Wähler keine Alternative sah, sagt Müller. «Diese Wähler blieben zu Hause. Sie wollten weder die abgewirtschafteten Demokraten noch die populistischen Nationalisten wählen.»
Das habe nun zur Folge, dass das politische Personal der 90er Jahre in Serbien wieder an die Macht gekommen sei. Vucic war damals unter Slobodan Milosevic Informationsminister. «Er hat Milosevics Regierung mitgetragen. Er war ein Ultranationalist, er war gegen die EU», sagt Müller. Nun gebe er sich aber geläutert. Er wolle sein Land reformieren und habe durch die Wahl nun quasi die Rolle eines Heilsbringers.
Vucics Signale an die anderen Parteien, mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen, deutet Müller so: «Wenn er das Land reformieren will, muss er über 150 Staatsbetriebe sanieren. Mehr als 10'000 Menschen werden arbeitslos werden. Diese Last will er nicht ganz alleine tragen.»