Warum die Türkei versöhnliche Töne nach Damaskus schickt
Vergangene Woche flog die syrische Luftwaffe Angriffe auf kurdische Stellungen in der nordsyrischen Stadt Hasaka – erstmals seit Beginn des Syrien-Krieges. In der Stadt kontrollieren Truppen des syrischen Machthabers Bashar Al-Assad das Zentrum, die Aussenbezirke aber sind in kurdischer Hand. Trotz dieser Ausgangslage war es dort ausser kleinen Scharmützeln bisher kaum zu Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien gekommen.
Gleichzeitig zeigte sich die Türkei gegenüber Assad plötzlich versöhnlicher. Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte, eine Übergangsregierung unter Assad sei vorstellbar. Und dies nur wenige Wochen nachdem sich die Türkei und Russland angenähert hatten. Russland unterstützt im Syrienkonflikt Machthaber Assad. Die Türkei eigentlich rebellische Gruppen, die gegen ihn zu Felde ziehen. Ist das alles nur Zufall oder zeichnet sich hier eine neue strategische Allianz ab?
Gemeinsames Ziel: Kein Kurdenstaat
Laut Roland Popp, Nahost- und Sicherheitsexperte am Center for Security Studies an der ETH, ist es möglich, dass Assad mit dem Angriff auf kurdische Stellungen einerseits zwar konkrete militärische Ziele verfolgte. Andererseits aber auch einen Fingerzeig nach Ankara schickte: «Weder Assad noch die Türkei haben ein Interesse daran, dass im Norden Syriens ein autonomer kurdischer Staat entsteht, der sich auf die Türkei, den Irak und gar den Iran ausweiten könnte.» Dies könnte Assad mit den Angriffen in Ankara in Erinnerung rufen wollen «und aufzeigen, dass man in gewissen Fragen gemeinsame Ziele verfolgt». Zumal es den Kurden im Norden Syriens – entlang der Grenze zur Türkei – bereits gelungen ist, zwei von drei Gebieten zu verbinden, in denen sie die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Grundsätzlich könnten die Bombardements der syrischen Luftwaffe aber nicht als Entstehung einer Allianz Moskau-Ankara-Damaskus gewertet werden, ist sich Popp sicher. Zu unterschiedlich seien gegenwärtig die Interessen: «Die Türkei unterstützt nach wie vor massiv Rebellengruppen, die gegen Assads Truppen kämpfen. Ohne die logistische Unterstützung aus Ankara wären die militärischen Erfolge der Rebellen, zum Beispiel in Aleppo, undenkbar.»
Die Türkei setzt auf eine Schaukelpolitik
Zwar zeige das Statement des türkischen Ministerpräsidenten eine «Aufweichung der türkischen Position». Es könne sein, dass sich «innerhalb der türkischen Elite» die Auffassung durchzusetzen beginne, dass die türkischen Interessen «nicht allein mit der Unterstützung von Assads Gegnern» zu erreichen sind. Zudem werde inzwischen die Bedrohung, dass ein kurdischer Staat entstehen könnte, offenbar höher gewertet als die schnelle Absetzung des syrischen Machthabers. «Die Türkei setzt auf eine Schaukelpolitik, aber mittelfristig will sie Assad nach wie vor stürzen», so der Sicherheitsexperte.
Russland und Türkei «weit voneinander entfernt»
Auch hätten sich die Ankara und Moskau – nach dem Abschuss eines russischen Militärjets durch das türkische Militär – zwar wieder angenähert. «Dabei ging es aber in erster Linie darum, dass die russischen Sanktionen gegen die Türkei zurückgenommen werden. Dafür musste Recep Tayyip Erdogan zu Kreuze kriechen», so Popp. Im Syrien-Krieg seien die Positionen der beiden Länder aber «nach wie vor weit voneinander entfernt».
Deshalb kann sich der Nahostexperte eine gemeinsame Strategie kaum vorstellen. Zudem: «Die Türkei hat derzeit sicherlich kein Interesse daran, ihre Nato-Mitgliedschaft aufzukündigen.» Und dies trotz schwerer Belastungen der Beziehungen zwischen den USA und der Türkei. Die USA weigern sich nämlich nach wie vor Fethullah Gülen, den die Türkei als Kopf hinter dem Putschversuch gegen Erdogan einstuft, auszuliefern.
Kurden «kochen ihr eigenes Süppchen»
Allerdings könne die Türkei ihre Nato-Partnerschaft auch überdenken. Besonders dann, wenn die USA die Kurden weiterhin unterstützten – und langfristig auf die Einrichtung eines kurdischen Staates hinarbeiteten. Dies hält Popp trotz «der inkohärenten und deshalb schwer einschätzbaren Politik der USA in Syrien» jedoch für unwahrscheinlich. «Viel eher glaube ich, dass die USA die Kurden schliesslich im Stich lassen werden», so Popp.
Denn der wichtige Verbündete im Kampf gegen die Terrormiliz IS, das habe die USA mittlerweile erkannt, «kocht sein ganz eigenes Süppchen». Statt gegen die IS-Hochburg Rakka im Süden des Landes vorzuschreiten, breiteten sich die Kurden nämlich lieber nach Westen aus. In Richtung des letzten mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebiets in Nordsyrien – und damit einen Schritt näher an ihren eigenen Staat.