SRF: Welche Bilanz ziehen Sie vom Hilfswerk Caritas, fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti?
Stefan Ege: Wir haben die Ziele, die wir uns gesetzt haben, erreicht. Wir haben fünf Schulzentren für insgesamt mehr als 2000 Schülerinnen und Schüler sowie 600 permanente Wohnhäuser für über 2700 Menschen gebaut. Das ist ein Erfolg für uns. Zwar bleibt in Haiti immer noch viel zu tun; doch am heutigen Jahrestag des Bebens können wir sagen, dass wir zufrieden sind.
Welches waren die grössten Schwierigkeiten, die Ihre Organisation beim Wiederaufbau in Haiti zu überwinden hatte?
Die Schwierigkeiten waren vielfältig und gross. Teilweise hat es bis zur Fertigstellung von Projekten länger gedauert, als ursprünglich geplant. Verantwortlich dafür sind zunächst die immer wiederkehrenden Naturkatastrophen auf Haiti. So hat etwa der Hurrikan «Sandy» im Oktober 2012 grossen Schaden angerichtet und unsere Aktivitäten unterbrochen. Daneben gab es auch logistische Schwierigkeiten, wie die weit entfernten Projektgebiete überhaupt zu erreichen.
Ein neues Haus bildet die Grundlage, selber ein würdiges Leben aufzubauen.
Das Erdbeben 2010 zerstörte mehr als 100'000 Häuser. Nun hat Caritas 600 Häuser wieder aufgebaut: Ist Ihre Hilfe letztlich nicht bloss ein Tropfen auf den heissen Stein?
Im Zusammenhang mit Haiti ist dies ein Bild, welches oft ins Spiel gebracht wird. Tatsächlich sind die Bedürfnisse sehr viel grösser als das, was wir tun können. Doch für jene Familien, die dank uns nun ein Haus haben, das Generationen überdauern wird, ist die Hilfe nicht bloss ein Tropfen auf dem heissen Stein. Vielmehr bildet die Hilfe für sie eine Grundlage dafür, selbst ein würdiges Leben aufzubauen.
Wer schaut künftig zu diesen Häusern, nachdem Sie das Projekt bald beendet haben werden?
Logischerweise schauen die Leute, welche diese Häuser bekommen haben, selber dazu. Die Häuser wurden zusammen mit ihnen entwickelt und errichtet. Das war ein sehr partizipativer Prozess. Die Leute haben ihre Häuser wahnsinnig gern und entsprechend schauen sie auch zu ihnen und dafür, dass sie lange gebraucht werden können. Wir haben die Betreffenden auch darin geschult, wie sie mit den Häusern umgehen und sie unterhalten müssen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Leute die Häuser gut instandhalten werden. Zudem ist im Anschluss an die humanitäre Hilfe und Rehabilitation im gleichen Dorf ein Entwicklungsprojekt geplant, das den Menschen weitere Zukunftsperspektiven geben wird.
Nun wird die Entwicklungszusammenarbeit mit Haiti also fortgesetzt. Was gibt es hier vor allem zu tun?
Die Bedürfnisse in Haiti sind nach wie vor riesig, obschon viele Hilfsorganisationen das Land inzwischen verlassen haben. Als Beispiel unserer weiterführenden Arbeit sei ein Entwicklungsprojekt in den von uns erstellten Schulhäusern erwähnt: Es soll die Qualität des Schulunterrichts verbessern, indem es den Lehrkörper und die Administration stärkt sowie das Schulmanagement verbessert. Das Projekt hat bereits vor anderthalb Jahren begonnen und wird nun nahtlos weitergeführt.
Sie beschreiben Ihre Arbeit in Haiti als erfolgreich. Gibt es trotzdem etwas, das Sie bei einem nächsten Mal anders machen würden?
Wir Hilfswerke sind daran interessiert, aus unseren Erfahrungen zu lernen. Insofern gibt es immer Dinge, die man im Nachhinein anders machen würde. Auf Haiti bezogen: Ich würde die Planung nochmals verstärken und versuchen, dabei noch mehr Eventualitäten miteinzubeziehen. Das betrifft etwa Zeit- und Geldreserven.
Das Interview führte This Wachter.
Das Jahrhundert-Beben in Haiti
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Bild 1 von 16. Vor fünf Jahren verwandelte sich Haitis Hauptstadt Port-au-Prince in weniger als einer Minute in ein Trümmerfeld. Die bevölkerungsreichste Region des Landes wurde vom bislang verheerendsten Erdbeben des 21. Jahrhunderts getroffen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 16. Ganze Wohngebiete stürzten durch das Beben der Stärke 7 auf der Richterskala ein. Die bereits zuvor mangelhaft funktionierende Infrastruktur brach vollends zusammen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 16. Als die ersten internationalen Hilfskräfte eintrafen, herrschte blankes Chaos. Mit blossen Händen gruben Retter und Einheimische in den Schuttbergen nach Überlebenden und Leichen – eine Belastung auch für die Rettungsmannschaften. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 16. Zwischen all dem Elend gab es jedoch auch immer wieder Lichtblicke: Tausende Menschen konnten lebend aus den Trümmern geborgen werden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 16. Die Menschen wurden Opfer einer für eine Erdbebenregion völlig ungenügenden Bautechnik. Rund 250'000 Haitianer starben unter den Trümmern, mindestens ebenso viele wurden verletzt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 16. Die Hilfsmannschaften konnten sich aufgrund der zerstörten Strassen und immensen Trümmerberge nur langsam zu den Opfern durch kämpfen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 16. Die Drei-Millionen-Stadt Port-au-Prince glich nach dem Beben einer Geisterstadt. Strassen, Energieversorgung, Telefonnetz, Rettungs- und Ordnungswesen brachen zusammen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 16. Die genaue Zahl der Toten ist ungewiss, eine Identifizierung war teilweise nicht möglich. Bei Temperaturen um die 40 Grad mussten die Opfer zu Tausenden in Massengräbern beerdigt werden, um Seuchen vorzubeugen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 16. Tausende von Kindern wurden durch das Beben zu Waisen – Netzwerke von Kinderhändlern, die den illegalen Adoptionsmarkt bedienten, erhielten Aufschwung. Teilweise wurden Kinder sogar aus Spitälern verschleppt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 16. Das Erdbeben hat Millionen Menschen die ohnehin karge Lebensgrundlage geraubt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 11 von 16. Die Verzweiflung der Überlebenden war gross: Fehlende Nahrung und Trinkwasser führten zu Kämpfen und Plünderungen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 16. Die Sicherheitsbeamten konnten die in Not geratenen Menschen nicht mehr kontrollieren... Bildquelle: Keystone.
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Bild 13 von 16. ...der Kampf ums Überleben mündete teilweise in roher Gewalt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 14 von 16. Haiti war schon vor dem Beben ohne externe Unterstützung kaum lebensfähig. Aber nach der Katastrophe vor fünf Jahren wurde der kleine Karibikstaat vollständig zum internationalen Sozialfall. Bildquelle: Reuters.
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Bild 15 von 16. Hunderte Hilfsorganisationen brachten Zelte, Essen und Fachpersonal in die Krisenregion. Über zehn Milliarden Euro Spenden flossen nach Haiti. Auch die Schweiz beteiligte sich an der Hilfe. Bildquelle: Keystone.
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Bild 16 von 16. Mindestens 1,5 Millionen Haitianer wurden auf einen Schlag obdachlos. Die hygiensichen Zustände in den Auffanglagern waren teilweise mehr als ungenügend. Hunderttausende leben noch immer in Zeltstädten von Port-au-Prince. Bildquelle: Keystone.