Leonarda war Anfang Oktober auf einem Schulausflug, als eine Polizei-Patrouille den Bus anhielt und die 15-Jährige mitnahm. Kurz darauf wurde sie zusammen mit ihrer Familie nach Kosovo ausgeschafft. Wie viele andere Roma lebte die Familie illegal in Frankreich. Bereits mehrfach hatte sie die Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen.
Schüler blockieren ihre Gymnasien
An der öffentlichen Empörung ändert das allerdings nichts. So kommt es seit Bekanntwerden des Falles zu Kundgebungen vor allem von Schülern. Am Donnerstag gab es an mehreren französischen Mittelschulen laute Proteste, einige Schulen wurden verbarrikadiert. In Paris wollten Schülerinnen und Schüler zum Innenministerium marschieren; die Polizei hinderte sie daran.
Die Empörung komme daher, dass die nun Protestierenden von Präsident François Hollande eine Änderung in der Ausländerpolitik erwartet hätten, sagt Rudolf Balmer. Er ist Journalist und lebt in Paris. «Es herrschen immer noch dieselben repressiven Methoden wie unter Sarkozy.» Auch erinnerten sich viele Franzosen nun ihrer eigenen ausländischen Wurzeln – jeder vierte Franzose hat solche – was ein Grund für die Schülerproteste sei.
Kritik an Innenmnister Valls
Selbst zahlreiche Politiker aus dem sozialistitschen Regierungslager üben heftige Kritik am Vorgehen der Behörden im Fall Leonarda. Im Mittelpunkt der Kritik steht Innenminister Manuel Valls, der bereits seit Monaten mit seinem harten Kurs gegen illegal im Land lebende Roma für Schlagzeilen sorgt.
Beliebtester Politiker
Für Präsident François Hollande ist der Fall höchst unangenehm. Auf der einen Seite wird die Kritik aus dem eigenen Lager an Valls immer lauter, auf der anderen Seite stehen dessen hervorragende Umfragewerte. Valls gilt als beliebtester Politiker Frankreichs und als einer der ganz wenigen Sozialisten, die auch konservative und eher rechte Wähler ansprechen. Deshalb werde sich Hollande hüten, einen so populären Minister öffentlich abzukanzeln, ist sich Journalist Balmer sicher.
Tatsächlich sind viele Franzosen unzufrieden und wünschen sich eine härtere Ausländerpolitik. Der Vorwurf: Zu viele Einwanderer würden ins Land kommen – und sie erhielten zu gute Sozialleistungen. Diese tendenziell unzufriedenen Wähler seien versucht, den rechtsextremen Front National zu wählen, so die Einschätzung Balmers.
Valls als Antwort auf den Front National
Gerade in der aktuellen Situation dürfte Hollande kaum auf Minister Valls verzichten wollen. Erst am vergangenen Sonntag gewann die rechtsextreme Partei Front National eine viel beachtete Kantonalwahl im Süden des Landes. Einer Umfrage zufolge könnte sie bei der Europawahl im kommenden Mai stärkste Partei in Frankreich werden.
Die Regierung Hollande sei deshalb gefordert, sagt Balmer: Sie müsse nun Grundwerte verteidigen. «Die Regierung kann sich den Vorwurf nicht länger gefallen lassen, dieselbe harte Politik weiterzuverfolgen wie unter Sarkozy.» Allerdings müssten Lösungen auf europäischer Ebene gesucht werden, denn alle Staaten kämpften in der Ausländerpolitik mit den gleichen Problemen. «Es geht darum, Lösungen zu finden, ohne Europa in eine Festung zu verwandeln.»