Bei einem Schulbesuch im Oberaargau, in der Oberschule in Kleindietwil: US-Botschafterin Suzan LeVine sitzt auf der hintersten Schulbank, mit geradem Rücken, auf der Kante des Stuhls, und hört dem Unterricht zu. Eigentlich geht es um die Berufswahl in der Oberstufe, aber die Diskussion wird bald politisch.
Das Thema: US-Militäraktionen in Syrien und dem Irak. «Ist es unproblematisch für die USA, wenn sie sich eine regionale Gruppe aussuchen und diese mit schweren Waffen beliefern?», fragt der Lehrer. Ein Schüler antwortet: «Nein, denn dann werden sie auch zu Feinden von Amerika.» So einfach lässt sich ein Dilemma der US-Aussenpolitik darstellen. Die Botschafterin redet mit.
«Bedachtsamkeit beim Abwägen ob, wann und wie er militärisch eingreifen soll, ist für Präsident Barack Obama überaus wichtig», sagt LeVine. Sie nennt die Zurückhaltung in Syrien als Beispiel. Nichtstun als gute Tat – niemand widerspricht.
Imagepflege bei der jungen Generation
Später, nach dem Unterricht, scharen sich die Schüler aufgeregt um die Botschafterin. Ob sie schon mal im Weissen Haus zu Besuch gewesen sei, will einer wissen. «Ja viele Male, das ist jedes Mal sehr cool.» Sie erntet Gelächter.
Eine Botschafterin mit Humor, und eine Botschafterin, die mit 15-Jährigen debattiert, eine Botschafterin zum Anfassen. «Sie treffen in mir eine menschliche, zugängliche Person; jemand der lernhungrig ist wie sie, jemand der keine geradlinige Karriere machte – ich war Hausfrau, dann Ingenieurin, dann Managerin, und jetzt vertrete ich mein Land in diesem Land.» Sie hoffe, dass die Schüler erkennen, dass es verschiedene Wege gibt, und dass ihr Land verschiedene Gesichter habe.
Die Imagepflege in Kleindietwil gelingt, die Schüler sind begeistert von ihr: «Sie hat sich sehr offen vor uns präsentiert, das war cool», sagt einer. Eine Klassenkameradin sagt: «Sie war nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe.»
Szenenwechsel, zwei Stunden später: LeVine lässt sich in den Werkhallen der Milchverarbeiterin Emmi in Emmen Joghurtsorten und die Kaffeedeckelmaschine erklären – und sie trifft einen waschechten Schweizer Lehrling kurz vor seinem Abschluss. Denn deshalb ist sie hier: Sie will die Emmi-Geschäftsleitung für das neue Lehrlingsprogramm der US-Regierung an Bord holen.
Lehrstellen gegen Lockerungen beim Käse
«Wir haben in den USA eine eklatanten Fachkräftemangel. Uns fehlen etwa fünf Millionen qualifizierte Arbeitskräfte – vom Software-Entwickler bis zum Schweisser», erklärt sie. «Die Berufsbildung könnte da die Lösung sein. Wir sehen Deutschland und die Schweiz mit ihrer tiefen Arbeitslosigkeit und hohem Produktivität als attraktives Modell.» Und in deutschen oder Schweizer Firmen mit Produktion in den USA sehe sie die idealen Partner, um die Berufsbildung zu entwickeln.
Emmi hat rund 220 Angestellte in den USA und kann sich durchaus vorstellen, die eine oder andere Lehrlingsstelle anzubieten, aber die Prioritäten liegen anderswo. Emmi möchte, dass die USA ihre Käseimportkontingente lockert. Die Botschafterin nimmt das Verlangen auf und verspricht das Thema anzusprechen, im Aussendepartement und beim US-Handelsvertreter im Weissen Haus.
Entsprechend zufrieden ist Emmi-CEO Urs Riederer nach dem Treffen. «Weil wir gesehen haben, dass sich die Amerikaner sehr stark um das Thema Berufsbildung kümmern. Zudem konnten wir ein paar unserer Punkte anbringen, die wir im täglichen Business haben. Und wenn wir solche Unterhaltungen haben, ist das sicher gut für uns», sagt er.
«Aha-Moment» im ersten Jahr in Bern
Ein Jahr ist LeVine nun in Bern. Sie hat inhaltlich einen klaren Akzent jenseits des Banken und Steuerstreits gesetzt. «Ich habe erkannt, dass es viele Schweizer Unternehmen gibt, die eine riesige Präsenz in den Vereinigten Staaten haben, Talente brauchen, diese ausbilden wollen und ein sehr robustes Lehrlingssystem haben.» Das sei ihr «Aha-Moment» gewesen.
Parallel dazu handelten Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und US-Arbeitsminister Thomas Perez die Vereinbarung zur Zusammenarbeit in der Berufsbildung aus, die – so heisst es in Bern und Washington – zur Unterschrift bereit liegt. Am Tisch waren auch LeVine und der stellvertretende Direktor des Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation, Josef Widmer.
«Man merkt, dass sie weiss, wovon sie spricht, wenn es um die Wirtschaft geht» sagt Widmer. «Sie kann Unternehmen überzeugen, sie redet dieselbe Sprache und hat auch die Erfahrung, die es braucht, um erfolgreich geschäften zu können.»
Grosse Präsenz in den Sozialen Medien
Die Besetzung des US-Botschaftsposten in Bern war unkonventionell: Ja, LeVine hat für Obama Millionen Dollar im Wahlkampf gesammelt – aber sie wurde auch als frühere Wirtschaftsfrau mit einem Hintergrund in Technologie und Marketing in die Schweiz geschickt. Zum Business gehört Marketing: LeVine twittert und postet, was das Zeug hält. Auch die Besuche bei Emmi und in Kleindietwil wurden sofort auf Social Media publiziert.
Doch wie hat sie es mit dem altbewährten diplomatischen Prinzip: «Denk zweimal nach, und dann sag nichts?» Sie überlegt und sagt dann doch was: «Ich habe gelernt, tief einzuatmen, zuzuhören und zuerst Fragen zu stellen. Am Anfang meiner Karriere konnte ich das noch nicht. Aber jetzt mache ich es wenn immer möglich.»