Geht es nach der Gebietsreform aus Paris wird die Region Elsass mit den Regionen Lothringen und Champagne-Ardenne zusammengelegt. Für viele Elsässer ein Affront: Sie haben Angst, noch weiter weg von Paris zu rücken, vor allem aber fürchten sie um ihre Identität.
In Saint-Louis an der Schweizer Grenze hört man im Marktgetümmel Französisch, ein wenig Badisch und viel Elsässisch. Der Elsässischen Marktkundschaft gefällt es gar nicht, dass es ihre Region von der politischen Landkarte verschwinden soll. Paris aber entscheide, auch wenn man überhaupt nicht einverstanden sei, klagt eine Frau.
Finanzielle Einbussen befürchet
Bei einem älteren Mann kommen Erinnerungen an die turbulente Geschichte des Elsass auf, das einmal französisch, dann wieder Deutsch und dann wieder französisch war: «Ich habe das Gefühl, wir werden nun ein drittes Mal annektiert.» Mit einem Teil Lothringens habe man immerhin die Kriegserfahrung gemeinsam – mit der Region Champagne-Ardenne rein gar nichts.
Die Regionen passen auch aus einem anderen Grund nicht zusammen, meint eine Marktfrau: «Die Einnahmen der Regionen sind sehr unterschiedlich. Wir werden überall beim Bezahlen helfen müssen.» Auf dem Markt von Saint-Louis glaubt niemand, dass die Reform den gewünschten Spareffekt bringt für den französischen Staat.
Eine Region – grösser als die Schweiz
Auch Jean-Marie Zoelle schüttelt den Kopf. Der Bürgermeister von Saint-Louis sitzt hinter seinem schweren Schreibtisch. Die Verschmelzung der Regionen komme höchstens teurer. Paris festige mit der Reform seine Macht, dabei wisse die Lokalpolitik am besten, ob es neue Strassen oder neue Spitäler brauche. «Wir sehen, wie es in Deutschland und der Schweiz läuft. Weshalb haben wir so etwas bei uns nicht in die Wege geleitet?»
Mit der Gebietsreform, passiere das Gegenteil. Die neue, grosse Region werde schwerfälliger. Die Dimensionen sprechen für sich: Die fusionierte Region Alsace-Lorraine-Champagne-Ardenne (Kurz Alca) ist grösser als die Schweiz, sie umfasst 10 Départements, 5000 Gemeinden, über 5 Millionen Einwohner. Das Elsass gehe darin unter, so Zoelle. Darum: «Das Elsass hätte alleine bleiben und ein Gebiet sein sollen, das für die Zukunft Europas steht.»
Zoelle gehe es nicht um Abschottung und Folklore. Das Elsass sei ein Spezialfall, weil man schon nach aussen orientiert sei – über den Rhein Richtung Schweiz und Deutschland. Man arbeite zusammen.
Was passiert mit dem Flughafen?
Die Gebietsreform als Gefahr für die Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Diese Befürchtung teilt auch der Direktor der Handelskammer beider Basel, Franz Saladin.
Wenn die Region grösser werde, sei es noch schwieriger Unterstützung in Frankreich für grenzüberschreitende Anliegen zu finden. Aktuelles Beispiel ist der Flughafen Basel-Mulhouse. Dieser ist zwar auf französischem Gebiet, dort gilt aber Schweizer Recht. Dieses binationale Modell werde in Paris in Frage gestellt.
Die französischen Kollegen aus der Region hätten die Schweizer Anliegen stark unterstützt, sagt Saladin. Gemeinsam sei man gegen die Vorhaben aus Paris vorgegangen. «Diese Zusammenarbeit wird schwieriger, wenn die Region grösser wird.» Wenn die Abgeordneten im weiter entfernten Reims sitzen, sei ihnen der Flughafen Basel-Mulhouse nicht so wichtig.
Nächster Akt in der wechselvollen Geschichte
Auf dem Markt von Saint-Louis ist die Landesgrenze spürbar nah. Ein älterer Herr sagt, er habe in Basel gearbeitet und sei viel in Deutschland. Dies sei Teil seiner Identität: «Ich habe nichts gegen Frankreich, im Gegenteil: Ich bin gerne Franzose, aber ich fühle mich mehr als Regionalist des Dreiländerecks.»
Dieser regionale Geist solle weiterleben. Auch wenn die turbulente Geschichte des Elsass mit dem heutigen Entscheid des französischen Parlaments zur Gebietsreform um eine Episode reicher ist.