Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: In Europa sind die Strompreise im Durchschnitt um 30 Prozent höher als in den USA. Das benachteiligt die europäische Wirtschaft.
Die Ursachen für die Preisdifferenzen sind zahlreich: Die Stromleitungen sind zum Teil veraltet; es ist nicht überall gewährleistet, dass Strom von einem Land ins andere fliessen kann; die 28 Mitgliedsländer haben 28 unterschiedliche Gesetze. Damit sind nur einige der Gründe für die frappante Diskrepanz der Strompreise dies- und jenseits des Atlantiks erwähnt.
Die Energie-Union soll diese Probleme Schritt für Schritt lösen und so auch zu tieferen Strompreisen beitragen. Der Direktor des Europäischen Wirtschaftsdachverbandes Businesseurope, Markus Beyrer, sagt denn auch: «Die Energie-Union ist eines der ganz zentralen Projekte. Denn die Energie-Politik der EU steht für uns ganz oben auf der Prioritätenliste.»
Die Energie-Union ist für uns eines der ganz zentralen Projekte.
Das Paket, das auf dem Tisch der Staats- und Regierungschefs liegt und wohl in dieser Form auch verabschiedet werden dürfte, entspricht so ziemlich den Erwartungen der Wirtschaft. Daneben gibt es aber im links-grünen politischen Spektrum bereits jetzt viel Kritik.
Diese lässt sich anhand einer zweiten Zahl darstellen: So decken einzelne EU-Mitgliedsländer 100 Prozent ihres Gasbedarfs mit russischem Gas ab. Und weil jedes Land das Gas einzeln einkauft, bezahlt jedes Land auch ganz unterschiedliche Preise. Um dem etwas entgegenzuhalten, sollen sich die EU-Länder künftig besser untereinander absprechen.
Aber gemeinsam Gas einkaufen wollen die Mitgliedsländer nicht. Rebecca Harms, Präsidentin der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, vermutet, dass jedes Land allein doch besser zu fahren glaubt. Ihre Meinung zum Energie-Unions-Paket ist ebenso kurz wie klar: «Ich bin ehrlich gesagt total enttäuscht.»
Harms vermisst das Visionäre. Und erwähnt ein zweites Beispiel: Heute entscheidet jedes Land selber über den Energie-Mix. also über die Energie, die auf dem eigenen Territorium produziert wird. Doch Harms würde es begrüssen, wenn diese Entscheide auf europäischer Ebene gefällt würden, um Energie umweltfreundlicher und nachhaltiger zu produzieren.
Die europäische Energie-Union könnte das Zukunftsprojekt der EU überhaupt sein.
Doch auch dazu wird es nicht kommen. Zwar müssen sich die Länder auch hier künftig besser untereinander absprechen. Wegen nationaler Interessen dürfe Polen aber auch in Zukunft auf Kohle setzen, und Frankreich beispielsweise auf Atom.
Harms gibt sich kritisch: «Die europäische Energie-Union könnte das Zukunftsprojekt der EU überhaupt sein. Aber nur, wenn sich die europäischen Staats- und Regierungschefs das wirklich überhaupt noch zutrauen.»
Was auf dem Tisch liege, sei ein neuer Titel für bestehende Projekte, die bereits jetzt am Laufen seien – und damit hat sie nicht ganz unrecht.
Das Problem der hohen Strompreise müssen die europäischen Länder angehen, doch würden sie das auch ohne Energie-Union. Und bei anderen Problemen scheuen sich die EU-Mitgliedsländer davor, Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene zu verlagern. Was wohl kein Zufall ist, denn die Produktion von Energie ist eine der existentiellsten Fragen für jedes einzelne Land.
Doch was heute entschieden wird, ist ein erster Schritt. Und die Dynamik der europäischen Integration wird wohl dazu führen, dass das Projekt der Energie-Union im Laufe der Zeit mit weiterem Inhalt ausgefüllt wird.