Steuer-Oasen sind schädlich. Darum soll die totale Transparenz in der internationalen Finanzindustrie einziehen. So jedenfalls fordern dies der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und der Schweizer Strafrechtsprofessor Mark Pieth.
SRF News: Länder, die bestimmte einheitliche Transparenz-Standards nicht einhalten, sollen gewissermassen unter Quarantäne gestellt werden. Was heisst das genau?
Mark Pieth: Wir stellen uns vor, dass gewisse Minimalregeln eingehalten werden müssen. Wenn Finanzzentren sich hartnäckig weigern, müssen wir den Mut haben, sie zum Beispiel vom Korrespondenzbanken-System auszuschliessen. Man würde also solche Finanzzentren effektiv zumachen.
Wer soll das durchsetzen und kontrollieren?
Zuerst müsste sich die Weltgemeinschaft auf solche Regeln einigen. Davon sind wir eigentlich gar nicht so weit entfernt. Das «Global Forum» bei der OECD macht bereits solche Regeln und überprüft die Länder auch, ob sie diese einhalten.
Ist das genug?
Es ist inhaltlich nicht genug. Viele gerade auch europäische Staaten, die in diesem Forum drin sind, handeln ambivalent und halten sich ihre kleinen Offshore-Orte: Die Franzosen etwa haben Monaco, die Engländer haben jede Menge kleinere Inseln über die ganze Welt verteilt. Die British Virgin Islands sind vielleicht die schlimmsten. Man hat also grosse Mühe, ernst zu machen und Regeln auch durchzusetzen. Wir fordern nach den Panama Papers jetzt Konsequenz ein. Es geht um ein weltweites Problem. Wenn wirklich die Schattenökonomie beseitigt werden soll, ist jetzt der Moment dazu gekommen.
Sie fordern öffentlich einsehbare Register für alle Beteiligungen und Besitztümer. Was ist mit dem Recht auf Privatsphäre?
Die Privatsphäre ist ein wichtiges Gut. Doch Firmen und Unternehmen haben kein Menschenrecht auf Existenz. Sie sind künstliche Gebilde, die wir für das soziale Gut geschaffen haben. Sie haben einen Zweck in unserer Gesellschaft. Wenn sie missbracht werden, müssen wir den Mut haben und sagen: Solche Firmen wollen wir nicht.
Ist mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump die politische Grosswetterlage nicht alles andere als ideal für Ihre Ziele?
Das muss man zugeben. Die Lage hat sich relativ schnell geändert. Noch vor Kurzem sah es mit den Panama Papers, den lautstark vorgetragenen Absichtserklärungen von David Cameron und Frankreichs Finanzminister Michel Sapin danach aus, dass sehr rasch Fortschritte möglich sind. Nun konnten Populisten paradoxerweise jene Menschen auf ihre Seite ziehen, die unter der Globalisierung am meisten leiden.
Kleine Länder mit starkem Finanzplatz sollten nach Ihrem Bericht ein Geschäftsmodell mit nachhaltigem Wachstum erarbeiten. Denken Sie da auch an die Schweiz als grösste Vermögensverwalterin der Welt?
Die Schweiz ist eigentlich auf relativ gutem Weg. Denken sie an den Finanzplatz. Wir hatten das alte Geschäftsmodell, das zum grossen Teil darin bestand, unversteuertes Geld anzunehmen. Dieses Modell sind wir unter Druck losgeworden und haben jetzt die Weissgeldpolitik. Und man staune: Die Banken kommen trotzdem zu neuem Geld. Natürlich hat das Gründe.Die Leute kommen nun mit «legalem Fluchtgeld», etwa aus Angst vor Währungsabstürzen.
Aber gerade die USA, die so Druck auf die Schweiz machten, haben jetzt parallel selber Steueroasen erschaffen. Hat die Schweiz einen wichtigen Geschäftszweig verloren?
Das kann sein. Aber dem sollten und können dem auch nicht nachtrauern, denn dieses Geschäftsmodell haben wir verloren. Ich glaube eher, dass die USA ihrerseits nun unter Druck kommen könnten. Erst vor ein paar Tagen erklärte der EU-Steuerkommissar, dass die USA gegenüber schwarzen Listen keineswegs immun seien. Natürlich sind wir uns der grossen politischen Widerstände bewusst: Es reicht, wenn die USA ihre Bundesgenossen in der EU um sich scharen, um das zu verhindern. Das ist klar.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.