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Porträt eines Mannes
Legende: Der irakische Kurdenführer Mala Bakhtiar träumt von einem unabhängigen Kurdistan. Reuters

International «Es braucht keine Bodentruppen – wir können das alleine»

Im Kampf gegen die Terrormiliz IS wird auch die autonome Region Kurdistan im Norden Iraks von den USA bombardiert. Der irakische Kurdenführer Mala Bakhtiar begrüsst diese Luftangriffe. Er glaubt aber auch, den Kampf auf dem Boden alleine mit Verbündeten in der Region gewinnen zu können.

SRF: Seit einigen Wochen bombardieren die USA, aber auch andere Länder wie Frankreich, Stellungen der IS. Haben diese Luftschläge die militärische Lage der Kurden spürbar verbessert?

Die US-Luftanschläge sind gut für uns
Autor: Mala Bakhtiar Kurdenführer

Mala Bakhtiar: Ja. Die Angriffe der Amerikaner dauern mittlerweile drei Wochen, französische Angriffe in Irak haben wir noch nicht erlebt, und ich kann sagen: Diese Angriffe haben unsere Lage sehr erleichtert. Sie sind sehr positiv für uns.

Wie beurteilen Sie die Strategie dieser internationalen Koalition? Ist es richtig, nur Luftangriffe zu fliegen, aber keine Truppen am Boden kämpfen zu lassen?

Mala Bakhtiar

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Mala Bachtiar kämpft seit über 40 Jahren für die kurdische Selbstbestimmung. Heute leitet er das Politbüro der Patriotischen Union Kurdistans, einer der beiden grossen Parteien der irakischen Kurden.

Die Konferenz in Paris, die das Vorgehen gegen den IS koordiniert hat, war erfolgreich. Und wir sind ganz klar der Meinung: Diese Luftangriffe sind sehr hilfreich, aber sie müssen kontinuierlich weitergehen. Und, auch das ist ganz klar unsere Meinung: Es braucht keine Bodentruppen. Wir können das alleine.

Wer ist im Moment der wichtigste Verbündete der kurdischen Regionalregierung in Irak?

Die Amerikaner.

Laut Medienberichten sind iranische Militärberater auf irakischem Boden zur Unterstützung der irakischen Kurden. Wie ist das Verhältnis zu Iran?

Der Präsident der kurdischen Regionalregierung in Irak hat sich explizit für die iranische Hilfe bedankt. Die Iraner waren die ersten, die uns am Boden geholfen haben, so wie uns die Amerikaner als erste mit Luftangriffen unterstützt haben.

Nun hatten die kurdischen Kämpfer ja Probleme im Kampf gegen IS, unter anderem deshalb, weil ein Teil unter dem Kommando der PUK, der Patriotischen Union der Kurden, und zum Teil der Demokratischen Partei Kurdistans unterstehen. Funktioniert diese Zusammenarbeit mittlerweile besser?

Nach der Zerschlagung der irakischen Armee kamen wir tatsächlich unter Druck, mussten uns sogar zurückziehen, aber mittlerweile haben wir zusammen wieder von Verteidigung auf Angriff umgestellt.

Aber nochmals: Wie ist das Verhältnis zwischen der PUK und der demokratischen Partei Kurdistans. Vor 20 Jahren gab es ja noch Krieg zwischen beiden Parteien?

Der Krieg ist eine Etappe aus der Vergangenheit. Jetzt haben wir eine Etappe der politischen Zusammenarbeit und gleichzeitig der politischen Auseinandersetzung. Wir haben gute Beziehungen, aber wir wollen die Beziehungen auch noch verbessern.

Die Peshmerga-Kämpfer gelten als die besten im Krieg gegen den Islamischen Staat IS. Ist es denkbar, dass sie auch ausserhalb kurdischer Gebiete, also in sunnitischen Gebieten zum Einsatz im Kampf gegen den IS kommen?

Es gibt bereits jetzt Peshmerga Kämpfer in sunnitisch-arabischen Regionen. In Amerli, Diallah und Sallahadin, wo die meisten Bewohner Araber sind, dort sind die Peshmerga Kämpfer sehr stark.

Wie ist das Verhältnis zur Einheitsregierung in Bagdad? Die irakischen Kurden haben ja Bedingungen für eine Beteiligung gestellt, Bedingungen in Sachen Öl, Budget, Bewaffnung. Hat Bagadad diese Bedingungen mittlerweile erfüllt?

Als erstes finden wir die Bildung der Al-Abadi Regierung gut. Aber leider sind unsere Erfahrungen mit den bisherigen irakischen Regierungen nicht gut. Deshalb haben wir der Regierung eine Frist von drei Monaten gegeben, um danach zu entscheiden, ob wir mitarbeiten wollen.

Heisst das, dass Sie unter Umständen diese Regierung in drei Monaten wieder verlassen könnten?

Nach diesen drei Monaten werden wir entscheiden.

IS ist keine Gefahr mehr für die Stadt Erbil
Autor: Mala Bakhtiar Kurdenführer

Das gewaltsame Vordringen des IS ist einerseits eine Bedrohung, der IS steht nicht sehr weit von Erbil entfernt, aber andererseits ist die ganze Lage vielleicht auch eine Chance für die kurdische Regionalregierung in Erbil, eine Chance für mehr Autonomie oder gar Unabhängigkeit. Machen Sie sich solche Überlegungen?

Zuerst einmal: IS ist keine Gefahr mehr für Erbil. Zweitens: Alles auf dieser Welt hat zwei Seiten: eine positive und eine negative. Drittens beschäftigt uns das Thema schon länger. Wir haben immer gesagt: Wenn Irak weiterhin so undemokratisch regiert wird, so wenig föderal ist und nur von einer Religion dominiert wird, bleiben wir nicht in diesem Irak.

Nun wird das nicht nur die Regierung in Bagdad, sondern auch die Türkei ablehnen. Was ist das Haupthindernis für eine kurdische Unabhängigkeit?

Ich frage Sie: Welches Land, das unabhängig wurde, hat keine Feinde und keine Hindernisse gehabt? Keines. Aber wenn die Situation reif ist, werden die Hindernisse kleiner. Vor 25 Jahren hat niemand den Fall des Eisernen Vorhangs vorhergesehen und dass in Osteuropa so viele unabhängige Länder entstehen.

Ist es dann realistisch, dass es zu einem unabhängigen Kurdistan der vier kurdischen Gruppierungen in Syrien, Iran, Irak und der Türkei kommt?

Im Moment ist das nicht realistisch. Aber die Geschichte hat bewiesen, dass sie die Träume von Völkern wahr machen konnte. Denken Sie an die beiden Deutschland: In einem Deutschland waren die Nato Truppen, im andern die des Warschauerpakts. Niemand hätte gedacht, dass diese Situation so unblutig bereinigt werden könnte. Als die Zeit reif wurde, konnte der ganze Warschauerpakt nichts machen und hat sich mit dem Westen geeinigt. Gibt es in unserer Region ein Land, das so viel Waffen und Macht hat wie seinerzeit der Warschauerpakt in Europa?

Das Interview führte Matthias Kündig.

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