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International EU-Gipfel: «Man soll nicht so tun, als wären wir uns alle einig»

Nach dem Brexit-Schock versuchen die restlichen EU-Mitglieder, sich zusammenzuraufen. Es bleibt beim Versuch. Einigkeit erzielen die Staats- und Regierungschefs lediglich in im Grunde längst bekannten Punkten. Die grossen Probleme bleiben ungelöst, die Differenzen gewaltig.

Drei Monate nach dem Brexit-Votum der Briten haben sich die verbleibenden 27 EU-Staaten getroffen, um über die Zukunft der EU zu beraten. Sie haben sich beim informellen Sondergipfel auf die «Agenda von Bratislava» geeinigt – ein Arbeitsprogramm für die nächsten Monate, das Handlungsfähigkeit und Bürgernähe beweisen soll. Die grossen Differenzen bleiben.

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Die «Bratislava Roadmap» steckt die Zeit bis zum 60. Jubiläum der Römischen Verträge im März 2017 ab. Oberste Ziele sind mehr Sicherheit und neue Jobs. Der Fahrplan ist eine Art Diskussionspapier, denn formale Beschlüsse können erst auf den kommenden regulären EU-Gipfeln im Oktober und Dezember fallen. An diesen wird auch das Noch-EU-Mitglied Grossbritannien teilnehmen.

Bürger besser informieren

In ihrer Schlusserklärung versprachen sich die 27 EU-Länder gegenseitig, besser zusammenzuarbeiten und die Bürger besser zu informieren. Konkret verabredeten sie eine ganze Reihe von Projekten:

  • Die Aussengrenzen der EU sollen besser geschützt werden, um illegale Zuwanderung zu kontrollieren und zu bremsen.
  • Fluchtursachen sollen stärker bekämpft werden.
  • Analog zum Esta-System in den USA solle ein Registrierverfahren für EU-Reisende aufgebaut werden.
  • Der Flüchtlingspakt mit der Türkei soll umgesetzt werden.
  • Der Aufbau einer gemeinsamen Grenze- und Küstenwache soll beschleunigt werden.
  • Im Kampf gegen den Terror soll der Informationsaustausch verbessert werden.
  • Im Dezember soll eine engere Verteidigungszusammenarbeit beschlossen werden.
  • Neue Jobs und mehr Perspektiven für Jugendliche sollen kreiert werden.

Die EU bleibt zerstritten

Kaum Gehör für Österreich

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Österreich hat für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei keine Unterstützung der anderen Länder gefunden. Bundeskanzler Christian Kern gab sich dennoch mit der Diskussion über die Türkei zufrieden. Denn der Fokus sei der Flüchtlingsdeal gewesen, nicht die Beitrittsverhandlungen.

Was die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande mit einem gemeinsamen Auftritt nach dem Gipfel als Einigkeit verkaufen wollten, ist jedoch alles andere als das. «Wenn man sich in grossen Fragen nicht einigen kann, sucht man sich grosse Fragen, in denen man sich eigentlich längst einig ist», fasst Brüssel-Korrespondent Sebastian Ramspeck die Ergebnisse zusammen. Die grossen Probleme wie Flüchtlings- und Euro-Krise blieben ungelöst.

So entspricht denn auch die Bilanz von Ungarns Premier Viktor Orban viel eher der Realität als das Signal, das Merkel und Hollande auszusenden bemüht waren: «Der Gipfel war insofern erfolglos, als dass es nicht gelungen ist, die Einwanderungspolitik Brüssels zu ändern», sagte er. In der Union sei weiterhin die selbe selbstzerstörerische und naive Einwanderungspolitik vorherrschend wie bisher.

Renzi verweigert gemeinsame Pressekonferenz

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern sagte, man habe «mehr Einigkeit als befürchtet, weniger als erhofft». Italiens Premier Matteo Renzi verzichtete gar auf einen gemeinsamen Auftritt mit Merkel und Renzi. Er könne keine gemeinsame Pressekonferenz abhalten, wenn er mit den Beschlüssen zu Wirtschaft und Immigration nicht einverstanden sei. Man solle nicht so tun «als wären wir uns alle einig». Die «Bratislava Roadmap» ist Renzis Ansicht nach «ein Schritt vorwärts, aber ein kleiner, sehr kleiner. Zu wenig.»

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