Die EU-Kommission bewertet jährlich die Fortschritte zu den EU-Anwärtern. Beim Kandidaten Türkei kommt man zum Schluss: Das Land hat vergangenes Jahr eine Reihe von «positiven Schritten» unternommen. Dazu zählen eine Justizreform und die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), heisst es laut Fortschrittsbericht.
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle forderte die EU-Staaten deshalb auf, wie im Sommer versprochen in den Verhandlungen mit der Regierung in Ankara das nächste Kapitel zu eröffnen.
Allerdings seien die Türken nicht mehr sehr auf einen EU-Beitritt erpicht, sagt Journalist Thomas Seibert. «Wenn man den Meinungsumfragen glauben kann, dann wollen die Türken das nicht mehr. Die Zustimmungsrate ist von 70 Prozent vor zehn Jahren auf heute 30 bis 40 Prozent gesunken.»
Entscheidung in einer Woche?
Die EU-Staaten hatten im Juni die Eröffnung des Verhandlungskapitels 22 zur Regionalpolitik zwar bereits im Grundsatz zugesagt, den formellen Schritt aber auf den Herbst verschoben. Dies geschah besonders auf Drängen Deutschlands als Reaktion auf die Polizeigewalt gegen landesweite Proteste von Regierungsgegnern. Zunächst solle der nächste Kommissionsbericht über den Fortgang der Reformen in der Türkei abgewartet werden, hiess es im Juni.
Die Entscheidung über die Eröffnung des neuen Themenfelds könnte nun bei einem Treffen der EU-Aussen- und Europaminister am kommenden Dienstag, 22. Oktober, fallen.
Neue Themen erörtern
Von den insgesamt 35 Verhandlungskapiteln wurde bislang allein das Kapitel Wissenschaft und Forschung vorläufig abgeschlossen. Nur ein Dutzend weitere Kapitel wurden seit Beginn der Gespräche eröffnet. Stimmen die EU-Staaten nun dafür, das Themenfeld zur Regionalpolitik in Angriff zu nehmen, wäre dies das erste Mal seit drei Jahren, dass ein neues Kapitel eröffnet wird.
Doch der EU-Kommission geht das nicht weit genug: Erweiterungskommissar Füle fordert, auch die Gespräche über die Kapitel 23 zu Grundrechten und 24 zur Justizpolitik anzugehen.
Mit Blick auf die massiven Proteste gegen die Regierung kritisiert die EU-Kommission die polarisierte Stimmung im Land und mangelnden Respekt für Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Umso wichtiger sei es daher, die Gespräche zu diesen Punkten einzuleiten.