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Fotomontage: Recep Tayyip Erdogan mit erhobenem Finger, im Hintergrund das türkische Parlament.
Legende: Erdogan kommt seinem Ziel näher, als Staatspräsident eine grössere Machtfülle zu bekommen. Keystone SRF

International Europas neue Probleme mit der Türkei

Präsident Erdogan hat sich mit der Aufhebung der Immunität von Abgeordneten durchgesetzt. Die pro-kurdische HDP warnt vor dem Weg «in die Diktatur». Die EU-Kommission rügt den Entscheid. Für EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist die Verfassungsänderung ein schwerer Schlag gegen die Demokratie.

Auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat das türkische Parlament die Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten beschlossen. Dies ist eine Kampfansage vor allem gegen die pro-kurdische Partei HDP. Sie wird von Erdogan als «verlängerter Arm» der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK angesehen.

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Für Erdogan ist es eine «historische Abstimmung», denn er wolle im Land keine schuldigen Parlamentarier sehen. die von der separatistischen Terrororganisation PKK unterstützt werden», sagte er vor Anhängern in der Stadt Rize.

Weil im türkischen Parlament die Parteien keine Kandidaten auf vakante Sitze nachrücken lassen können, verliert eine Partei mit einem allenfalls verhafteten Abgeordneten auch den Parlamentssitz. Gemäss Verfassung sind dann Nachwahlen notwendig, wenn fünf Prozent der Sitze so «frei» werden.

Veränderte Machtverhältnisse

Dieser Parlamentsentscheid ist ein weiterer Schritt dahingehend, die strategischen Machtverhältnisse in der Türkei grundlegend zu ändern, sagt Ruth Bossart, SRF-Korrespondentin in Istanbul: «Nach einer Verurteilung der Parlamentarier wären Nachwahlen nötig. Und dabei bleibt es ungewiss, ob die pro-kurdische HDP dann den Einzug ins Parlament wegen der hohen 10-Prozent-Hürde wieder schafft.»

Umgekehrt würde ein Ausscheiden der HDP die Chancen von Erogans Partei AKP massiv erhöhen, zwei Drittel der Mandate zu erringen. Es wäre ihr dann möglich, die Verfassung im Sinne Erogans zu ändern und ein Präsidialsystem einzuführen.

Ein Fünftel der Bevölkerung in der Türkei ist kurdisch. «Sollte der kurdische HDP-Chef Selahattin Demirtas verhaftet werden, hätte dies massive Proteste zur Folge und im Südosten des Landes würde der Bürgerkrieg weiter eskalieren.»

Erdogan als Teil eines neuen Problems

«Der türkische Präsident Erdogan kann sich im Moment sehr viel leisten gegenüber der EU», sagt Sebastian Ramspeck, SRF-Korrespondent in Brüssel. Erdogan hat dafür gesorgt, dass nur noch wenige Flüchtlinge aus der Türkei in die EU gelangen. «Er hat die Flüchtlingskrise im Moment aus dem Blickfeld der Europäer geschafft. Die EU ist deshalb bereit, auf laute Kritik an Erdogan zu verzichten.»

Beim EU-Innenminster-Treffen sei eine neue grosse Sorge mit der Türkei erwähnt worden, sagt Ramspeck: «Wenn die Politik Erdogans zu einer Ausweitung der bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei führt, dann könnten plötzlich ganz neue Probleme auf die EU zukommen, nämlich neue Flüchtlinge, kurdische Flüchtlinge. Erdogan wäre dann nicht mehr Teil der Lösung der Flüchtlingskrise, sondern Teil des Problem.»

Merkel will reden - EU ist besorgt und kritisiert

Leichte Kritik am Entscheid äusserte bereits die deutsche Bundesregierung. Bei einem Treffen mit Erdogan am Rande des UNO-Nothilfegipfels in Istanbul will Kanzlerin Angela Merkel das Thema am Montag zur Sprache bringen.

Die Europäische Union rügt den Beschluss des türkischen Parlaments, gut einem Viertel der Abgeordneten die Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung abzuerkennen. Dies gebe Anlass zu «ernster Besorgnis», erklärten die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini zusammen mit dem für EU-Erweiterungsverhandlungen zuständige Kommissar Johannes Hahn in Brüssel. Immunität müsse allen Mandatsträgern gleichermassen gewährt werden. Politische Erwägungen dürften dabei keine Rolle spielen.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verurteilte die Entscheidung als schweren Schlag gegen die Demokratie: «Seit den letzten Wahlen wird systematisch der Rechtsstaat ausgehöhlt und eine Ein-Mann-Herrschaft zementiert.» Die neue Entwicklung giesse auch Öl ins Feuer beim Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen. «Die Türkei entfernt sich damit immer weiter von unseren europäischen Standards», betonte Schulz in Berlin.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erklärte, es kommentiere Parlamentsentscheide anderer Staaten nicht, hielt aber fest, dass «die schweizerische Aussenpolitik sich für demokratische Werte einsetzt, wozu unter anderem der Dialog, der Minderheitenschutz sowie die freie Meinungsäusserung gehören.»

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