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Zwei Gruppen von Männern, stehend im Parlamentssaal in Istanbul, zählen Stimmzettel.
Legende: Von den insgesamt vier Parteien stimmten zwei für die Immunitätsaufhebung. Die CHP spielte Zünglein an der Waage. Reuters

International Kurdischer Abgeordneter: «Ich werde mich politisch verteidigen»

Das türkische Parlament hat eine heikle Entscheidung getroffen. Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit haben die Abgeordneten die Immunität von über einem Viertel der Parlamentarier aufgehoben. Betroffen davon sind fast alle Politiker der pro-kurdischen Partei HDP. Zum Beispiel Ziya Pir.

Ziya Pir

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Pir sitzend bei einem TV-Interview
Legende: twitter

Ziya Pir war bis im vergangenen Jahr Unternehmer in Duisburg, Deutschland. Jetzt sitzt er für die pro-kurdische HDP im türkischen Parlament. Er ist selbst von der beschlossenen Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten betroffen.

SRF News: Was bedeutet die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität für Sie?

Ziya Pir: Für mich persönlich bedeutet dies, dass ich drei Verfahren – drei Anklagepunkte – gegen mich habe. Der schwerwiegendste ist die Mitgliedschaft in der bewaffneten Terrororganisation PKK. Sie sagen, ich hätte eine Rede gehalten. Das stimmt: Ich habe eine Rede gehalten, in der der Satz vorkommt; «die Selbstverwaltung ist ein Recht der Kurden, und dieses Recht werden wir uns politisch erarbeiten». Nun wird gesagt, die PKK fordere das gleiche. Weil ich diese Forderung wiederholt hätte, sei ich deshalb Mitglied dieser Organisation.

Bei den meisten meiner Kollegen ist es ähnlich. Deswegen gab es diese Geschichte um die Immunitäts-Aufhebungsverfahren in der Türkei. Das ist eine Farce für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – und nicht hinnehmbar.

Wie geht es jetzt weiter für Sie und ihre Mitstreiter?

Die Staatsanwälte werden uns einzeln anschreiben und einladen, uns zu der Anklage zu äussern. Ich werde nicht hingehen. Dann werden sie wahrscheinlich die Polizei anordnen, uns zum Staatsanwalt zu bringen. Dann müssen wir mit Staatsgewalt dahin gehen. Aber ich werde mich nicht verteidigen und mich nicht zum Inhalt der Anklage äussern. Ich werde eine politische Aussage machen, mich nur politisch verteidigen. Denn das Vorgehen der letzten Monate ist politisch bedingt, wir werden uns deshalb politisch verteidigen.

Erdogan sagt, jetzt müssen diejenigen, die das Präsidialsystem verhindern, dafür einen Preis zahlen.

Was hat ihre Partei, die HDP, getan, dass sich Präsident Erdogan dermassen auf sie eingeschossen hat?

Wir haben vor einem Jahr, vor den Wahlen im Juni, gesagt, dass wir dafür sorgen werden, dass Erdogan nicht das Präsidialsystem in der Türkei einführen kann. Er diese Vision seit 20 Jahren, auch, dass er Präsident wird. Wir haben das verhindert.

Darauf hat er den Verhandlungstisch mit der PKK umgeworfen und hat im Juli mit dem Krieg gegen die PKK angefangen. Wir haben gesagt, wir müssen das anders lösen – mit einem Dialog. Denn mit Krieg hat man das seit 40 Jahren nicht gelöst und wird es auch in den nächsten 40 Jahren nicht lösen können.

Das Ganze hat Erdogan politisch sehr viel gekostet. Er sagt, jetzt müssen diejenigen, die das Präsidialsystem verhindern, dafür einen Preis zahlen. Das hat er heute wiederholt: «Die müssen dafür einen Preis zahlen», sagte Erdogan. Das ist ein Befehl an Staatsanwaltschaft und Richter, dass sie uns bitteschön einsperren.

Die Aufhebung Ihrer Immunität wurde mit über 370 von 550 Stimmen beschlossen. Das ist viel – heisst aber auch, es gibt auch noch andere Parlamentarier, die mit diesem Kurs der Regierung nicht einverstanden sind.

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Es sind vier Gruppen, vier Parteien im Parlament. Die AKP und die Ultranationalisten der MHP haben geschlossen dafür gestimmt. Das Zünglein an der Waage war die CHP, die sozialdemokratischen Republikaner. Sie hätten entscheiden können, ob die Gesetzesvorlage durchkommt oder nicht, oder ob ein Referendum zustande kommt. Sie hatten vor einem Referendum, einem Volksentscheid, Angst. Denn dann hätten sie auf die Strasse gehen und ihren Wählern erklären müssen, warum die Menschen mit Ja oder mit Nein stimmen sollen. Da sie selber nicht geschlossen sind, wären sie politisch unter Druck gekommen. Also haben 20 bis 30 Abgeordnete der CHP Ja gestimmt.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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