Zum Inhalt springen

International Festung Europa: «Wir würden besser über eine Öffnung nachdenken»

Die EU will ihre Grenzen verstärkt schützen, von Spanien bis Zypern. Diese Woche steht das Flüchtlingsproblem mehrmals auf der Agenda. Abschottung löse weder Europas Probleme und schon gar nicht die der Flüchtlinge, kritisiert der Journalist Kaspar Surber, der zum Thema ein Buch geschrieben hat.

SRF News Online: Sie haben viele Schauplätze der EU-Flüchtlingspolitik besucht. Was war das eindrücklichste Erlebnis bei Ihren Recherchen?

Mehr zum Thema:

Kaspar Surber: Das war in Athen. Die Asylsuchenden konnten nur an einem Ort in der Stadt einen Asylantrag stellen. Die Menschen standen wochenlang vor dem Gebäude Schlange, bei jeder Witterung. Am Samstag durften dann jeweils die vordersten in der Reihe einen Antrag stellen.

Die Schweiz und Frontex

Box aufklappen Box zuklappen

Die Schweiz beteiligt sich als Schengen-Land an den Aktivitäten von Frontex, der Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der EU-Mitglieder. Bern sendet jedes Jahr mehrere Mitarbeiter an die EU- bzw. Schengen-Aussengrenze, etwa für Personenkontrollen und Dokumentenprüfungen. Die Kosten dafür betragen 3 bis 4 Mio. Fr. pro Jahr.

Das ist für mich das Bild der missratenen EU-Flüchtlingspolitik, an der auch die Schweiz beteiligt ist. Diese Politik setzt vor allem auf Abschottung, etwa mit Hilfe von Frontex.

Frontex hilft, die Menschenströme schon vor dem Erreichen Europas besser zu orten. Wo liegt das Problem?

Da muss man bei der Funktion von Frontex beginnen. Um die Aussengrenzen der EU zu schützen, erstellt die Frontex zuerst eine Risiko-Analyse. Sie guckt, an welchen Orten die Flüchtlinge hereinkommen, wo das Leck ist. Dann koordinieren sie an diesen Orten den Grenzschutz, ziehen unter Umständen die Hilfe von Nachbarstaaten bei.

Selber stellt die Frontex keine Grenzwächter zu Verfügung. Mit neuen Verordnungen der EU kann Frontex nun auch selber Schiffe, Helikopter, Drohnen und Satelliten einsetzen.

Damit rettet Frontex auch Leben.

Frontex sieht das natürlich so. In erster Linie geht es aber darum, die EU-Grenzen dicht zu machen. Das ist letztendlich der politische Wille der EU. Es ist eine Politik nach dem Motto «Aus den Augen, aus dem Sinn». Die EU will die Verantwortung für Menschen nicht übernehmen, für deren Misere auch sie eine Mitschuld trägt.

Führende Intellektuelle aus arabischen und afrikanischen Staaten verzweifeln selber an ihren Leuten. Die Clan-Wirtschaft blüht, die Korruption grassiert. Was soll da Europa ausrichten?

Unser Verhalten trägt massgeblich zur Misere bei. Etwa, wenn wir grosse Rohstoffkonzerne beheimaten, die in Afrika zum Nulltarif Bodenschätze fördern oder Land nutzen. Gerne verkaufen wir auch unsere Waffen in solche Staaten. Eben hat sich das Parlament für eine Lockerung bei der Waffenausfuhr ausgesprochen. Das Flüchtlingsproblem können wir nicht mit Frontex an der Grenze lösen, wir müssen in grösseren Zusammenhängen denken.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Kaspar Surber ist Redaktor bei der WOZ. Sein Schwerpunkt ist Migrationspolitik. Er bereiste verschiedene Schauplätze: Lampedusa, Strassburg, Griechenland, Warschau. 2012 kam im Echtzeit-Verlag sein Buch «An Europas Grenze. Fluchten, Fallen, Frontex» heraus (Bild: Tom Haller).

Zurück zu den Flüchtlingen: Die Menschen wollen jetzt ein besseres Leben, nicht in dreissig Jahren. Wie soll sich Europa ihnen gegenüber verhalten?

Die Menschen müssen auf den Botschaften in ihrem Land Asyl beantragen können. Wir müssen wieder vermehrt so genannte Kontingentsflüchtlinge aufnehmen. Menschen, die hier sind, sollen würdiger behandelt werden. Zudem müsste Europa die Flüchtlinge koordiniert auf die einzelnen Länder verteilen.

Aber wo soll Europa einen Punkt setzen? Wie viele Flüchtlinge sind genug?

Wer gemäss der UNO-Flüchtlingskonvention an Leib und Leben bedroht ist, muss bleiben dürfen. Da gibt es kein dazwischen. Das ist letztendlich eine Frage des Selbstverständnisses, der eigenen Identität.

Europa würde bei einer solchen Politik doch überrannt.

Das glaube ich nicht. Wir haben eine ziemlich eurozentrische Sichtweise. Es wollen längst nicht alle Menschen nach Europa, laut dem Flüchtlingswerk UNHCR gehen 80 Prozent der Flüchtlinge in die Nachbarländer. Sie wollen nicht weit weg von ihrer Heimat.

Immerhin riskieren viele ihr Leben, um nach Europa zu kommen.

Die Politik der Abschottung hat dazu geführt, dass es für nicht privilegierte Menschen von ausserhalb Europas fast unmöglich geworden ist, hierher zu kommen. Der einzige Zugang für sie ist das Asylrecht. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die unterwegs sind: Sicher hat es auch solche darunter, die nicht direkt politisch verfolgt sind und einfach ihr Glück versuchen.

Statt sie als Illegale zu bezeichnen, würden wir besser über eine sukzessive Öffnung des Arbeitsmarktes nachdenken. Wie das geht, sehen wir mit der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU. Was innerhalb der EU klappt, kann auch global klappen.

Interview: Christa Gall

Meistgelesene Artikel