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Flüchtlinge, zum Teil auf Velos, an der russisch-norwegischen Grenze (30.10.2015).
Legende: Kein Durchkommen mehr: Die Arktisroute ist dicht – und in Russland erwartet die Flüchtlinge Kälte und Ungewissheit. Reuters

International Flüchtlingskrise: Eiszeit zwischen Oslo und Moskau

Über Jahrzehnte war die norwegisch-russische Grenze völlig dicht. Nato und Sowjetunion standen sich direkt gegenüber. Nach dem Kalten Krieg setzte Tauwetter ein, der kleine Grenzverkehr wurde sogar ohne Visum möglich. Mit der Flüchtlingskrise ist der Schlagbaum hoch oben am Eismeer zurück.

Die Bilder der radelnden Flüchtlinge auf der Arktisroute gingen um die Welt. Zwischen September und November letzten Jahres gelangten fast 6000 Menschen nach Nordnorwegen. Aufgrund geltender Bestimmung mussten die letzten Kilometer über die russisch-norwegische Grenze mit dem Velo gemacht werden.

Noch nie seit den schweren Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges waren im höchsten Norden Europas soviele Menschen auf der Flucht. Viele Gemeinden der norwegischen Provinz Finnmark rund um das Nordkapp öffneten stillgelegte Schulen und Gemeinschafthäuser für die Flüchtlinge aus den Krisengebieten des Nahen Ostens.

Rückführungen nach Russland

Doch dann kam die winterliche Dunkelheit und die grosse Kälte – auch in den nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Norwegen und Russland. Statt weitere Flüchtlinge aufzunehmen, begann Norwegen Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen – und jene, die in den Monaten zuvor über die Arktisroute in das nordische Land gekommen waren, zurückzuschaffen.

Die Begründung: Russland sei ein sicheres Land. Doch das russische Hinterland ist fast unbewohnt und die Temperaturen sind in den letzten Wochen auf unter Minus 40 Grad gesunken. Deshalb spielten sich zunehmend Tragödien ab: Immer wieder erfroren zurückgewiesene Migranten auf der russischen Seite.

Showdown zwischen Oslo und Moskau

In der letzten Woche kam es dann zum vorläufigen Showdown: Die rechtspopulistische norwegische Einwanderungsministerin Sylvi Listhaug kündigte im nationalen Parlament in Oslo an, sämtliche Asylbewerber, die über die Arktisroute gekommen waren, nach Russland zurückzuschaffen. Sie wies die Polizei an, diese Menschen zu verhaften.

Doch an der Grenze war zu diesem Zeitpunkt kein Durchkommen mehr. Aus sicherheitsmässigen Gründen hat Moskau die Rücknahme von Flüchtlingen aus Norwegen plötzlich gestoppt und erklärt, dass künftig nur jene wieder ins Land gelassen werden, die über eine Aufenthaltsbewilligung oder ein Multivisum verfügen – und das sind die wenigsten der gut 6000 Arktisflüchtlinge.

Es brodelt auch in Norwegen

Am geschlossenen Schlagbaum im Wald ausserhalb der nordnorwegischen Hafenstadt Kirkenes werden nun gleich drei Konflikte deutlich: erstens die Frage der am Eismeer gestrandeten Menschen, die niemand aufnehmen möchte; zweitens die neue Kälte in den Beziehungen zwischen Oslo und Moskau – und drittens ein immer deutlicherer Streit innerhalb der bürgerlichen norwegischen Regierungskoalition von Ministerpräsidentin Erna Solberg.

Während Solbergs Konservative an die humanitäre Tradition und das gesetzlich verbriefte Asylrecht des Landes erinnern, möchte der rechtspopulistische Koalitionspartner Fortschrittspartei davon abkehren und das Land für Menschen auf der Flucht dicht machen.

Unabhängig von der weiteren Entwicklung an Europas Nordrand ist heute klar, dass wir so schnell keine Bilder mehr von Menschen sehen werden, welche per Fahrrad die auch heute noch schwer bewachte Grenze zwischen Russland und Norwegen kreuzen werden.

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