Nach dem schweren Zugunglück im französischen Brétigny-sur-Orge mit mindestens sechs Toten, laufen die Ermittlungen auf Hochtouren.
Ein Bahnverantwortlicher erklärte, ein defektes Verbindungsteil an einer Weiche könnte die Ursache der Katastrophe gewesen sein. Das Stahlelement habe zwei Schienenteile zusammenhalten sollen, es habe sich aber gelöst.
Das französische Bahnunternehmen SNCF kündigte an, nun schnellstmöglich alle vergleichbaren Verbindungsteile im französischen Schienennetz zu überprüfen: Es sollen rund 5000 sein.
In den Tagen zuvor hatten am Bahnhof Brétigny-sur-Orge Arbeiten an den Geleisen stattgefunden. Ob diese Arbeiten mit der Katastrophe etwas zu tun haben, ist unklar.
Es herrschte ein unglaubliches Chaos. Überall flogen Trümmerteile herum.
Zug rast in Bahnhof
Der Intercity-Zug war am Freitagnachmittag um 17.14 Uhr mit 137 Kilometern pro Stunde unterwegs – 13 Kilometer pro Stunde langsamer als erlaubt. Er hätte den Bahnhof von Brétigny-sur-Orge mit hoher Geschwindigkeit durchqueren sollen.
SRF-Korrespondent Ruedi Mäder in Paris erklärte: Bei der Einfahrt in den Bahnhof seien die Waggons drei und vier aus den Geleisen gesprungen. Wagen vier sei gekippt, darauf entgleisten auch die folgenden Wagen.
Während der eine Zugteil weiterrollte, krachte der andere gegen die Träger des Perron-Daches und auf den Bahnsteig. Das Dach stürzte teilweise ein. «Auf dem Perron warteten Reisende auf ihren Zug. Es herrschte ein unglaubliches Chaos. Überall flogen Trümmerteile herum», sagte Mäder.
Die Wucht des Aufpralls war so gross, dass noch hunderte Meter weiter Trümmerteile in der Ortschaft verstreut lagen.
Es könnte mehr Opfer geben
Mindestens sechs der 385 Zugpassagiere starben. 30 Menschen werden derzeit in Spitälern behandelt, acht von ihnen haben schwere Verletzungen. Ärzte sprachen zudem von Dutzenden Leichtverletzten. Am Morgen konnten die letzten Passagiere aus dem Zug befreit werden.
Die Behörden riefen noch am Abend den «roten Notfallplan» aus. Dieser wird aktiviert, wenn mit einer grossen Zahl von Opfern zu rechnen ist. Laut Präsident François Hollande dürfte die Identifizierung der Opfer noch «sehr lange» dauern. Er reiste noch am Abend zur Unglücksstelle.
Lokführer verhinderte Schlimmeres
Dass sich keine noch grössere Katastrophe ereignete, war laut Verkehrsminister Frédéric Cuvillier allein dem Lokomotivführer zu verdanken: «Der Lokführer hat zum Glück absolut einzigartige Reflexe gezeigt. Er löste sofort Alarm aus», erklärte Cuvillier an einer Pressekonferenz. Beim ersten Holpern des Zuges habe der Mann alle Warnsysteme aktiviert und dadurch den Schienenverkehr in der Gegend gestoppt. Dies habe verhindert, dass ein entgegenkommender Zug in die entgleisten Waggons gerast sei.
«Wie in einem Kriegsgebiet»
Unter Schock stand Brétignys Bürgermeister Bernard Decaux. Er sprach am Vorabend von einem «apokalyptischen Anblick».
Die Situation war auch für viele Reisende schwer ertragbar. Ein Zugpassagier sagte, als er sich aus dem Waggon befreit habe, habe er über «eine Person steigen müssen, deren Kopf abgerissen war».
Ein am Bahnsteig stehender Augenzeuge konnte den Anblick der eingeklemmten Opfer nur schwer ertragen. «Ich habe gezittert wie ein Kind. Menschen haben geschrien, ein Mann war über und über mit Blut bedeckt. Es war wie in einem Kriegsgebiet.»
Schwerstes Zugunglück seit 25 Jahren
Der Zug war am Pariser Bahnhof Austerlitz gestartet und hätte am Abend um 20.05 Uhr in Limoges ankommen sollen. Die Stadt liegt rund 400 Kilometer südlich der Hauptstadt. Die Strecke bleibt zunächst komplett gesperrt. Tausende Reisende, die in Richtung Orléans, Limoges und Toulouse wollten, mussten auf andere Transportmittel ausweichen.
Es ist das schwerste Zugunglück in Frankreich seit 25 Jahren.