Wie ein Drama von Shakespeare kommen Ahmed Galal Ägyptens letzte zwei Jahrzehnte vor. «Ägyptens Wirtschaft wuchs unter Mubarak sehr. Manche im Westen begannen bereits vom Wirtschaftstiger am Nil zu sprechen», sagt der Ökonom.
Das zog in Scharen ausländische Investoren an. Millionen Touristen brachten ihre harten Währungen mit. Private Wirtschaftsimperien entstanden, in der Hotellerie, im Bauwesen, der Telekommunikation. «Doch die Früchte des Aufschwungs wurden völlig ungerecht verteilt – ein Drama», sagt Galal.
Eine kleine Elite um Präsident Mubarak bediente sich schamlos, während die Zahl der Armen trotz Aufschwung nicht zurückging, sondern sogar noch grösser wurde. Bis es zur Revolte kam. Das ist die Ausgangslage. Für jede künftige Wirtschaftspolitik in Ägypten. «Je nach Zählart lebt inzwischen ein Viertel der ägyptischen Bevölkerung oder mehr unter der Armutsgrenze», rechnet der Ökonom vor.
Antworten finden
Galal arbeitete fast zwanzig Jahre bei der Weltbank. Zuvor hatte er an der Universität von Boston in den USA promoviert. Er leitete ein regierungsunabhängiges Forschungsinstitut in Kairo. Und nun muss er als Ägyptens neuer Finanzminister selbst Antworten auf die Krise finden. Jedenfalls für die Übergangszeit bis zu den Neuwahlen, die die Generäle dem Land versprochen haben.
Präsident Mursis Amtszeit hat die Lage nur noch verschärft. Wegen der politischen Dauerkrise, für die Mursi verantwortlich ist, wenn auch nicht alleine. Denn so wie der Muslimbruder der Opposition die Zusammenarbeit verweigerte, so verweigerten manche Institutionen dieses Staats ihm vom ersten Tag an die Loyalität.
«Das Haushaltsdefizit wuchs auf schätzungsweise 15 Prozent. Das ägyptische Pfund brach ein,was die Importe massiv verteuerte. Die Devisenreserven fielen auf ein kritisches Niveau», sagt Galal. Denn in der allgemeinen Verunsicherung zogen die Investoren ihr Geld ab. Viel weniger Touristen kamen.
Selbst Reformen anpacken
Ohne Notkredite aus dem Ausland wären dem stolzen und grossen Land am Nil längst die Fremdwährungen ausgegangen. Wobei unter Mursi vor allem Katar half, der grosse Sponsor der Muslimbrüder. Nun, nach Mursis Sturz, helfen vor allem die Emirate und Saudiarabien, die grossen Gegner der Muslimbrüder.
«Doch das bevölkerungsreichste arabische Land sollte selbst Reformen anpacken», sagt Ahmed Galal. Wichtigstes Dossier in seinen Augen: die Treibstoffsubventionen. «Sie erreichen geradezu schwindelerregende Höhen», sagt der Ökonom. Und helfen mehr den Reichen als den Armen.
Tatsächlich verbilligt der ägyptische Staat ohne jeden Unterschied sämtlichen Treibstoff für sämtliche Bezüger im Land – massiv. Was ein gewaltiges Loch in die Staatskasse reisst. Präsident Mursi laborierte selber an einer Reform der Treibstoffsubventionen herum. Ahmed Galal anerkennt das. Diesen Sommer wollte Mursi damit anfangen. Er kam nicht mehr dazu.
Unterschriften legitimierten Putsch
Die Aktivisten der Tamarrud-Bewegung aber sammelten bereits eifrig Unterschriften. Millionen hatten sie schon beisammen, um dem gewählten Präsidenten des neuen Ägyptens das Vertrauen zu entziehen.
Man darf annehmen, dass die Generäle auch schon ihr Szenario bereit hatten, um Mursi abzusetzen. Die Unterschriftenkampagne spielte dabei eine wichtige Rolle – sie legitimierte den Putsch.
«Als Voraussetzung für den Aufschwung braucht das Land funktionierende Regeln und stabile politische Institutionen», sagte Galal am Vorabend des Putschs. Genau das versprachen die Generäle kurz darauf: stabile Institutionen. Die Revolution vollenden.
Doch Galal hätte auch mit der politischen Dauerkrise der Mursi-Zeit leben können. Denn noch wichtiger sei, dass nicht eine Partei die Kontrolle über den Staat und seine Institutionen gewinne. Solange verschiedene Kräfte feilschten und stritten, könne eine Kleptokratie wie zu Mubaraks Zeiten nicht wieder entstehen.
Ägyptens grosses Potential
Irgendwann, so sagte Galal damals, würden die beiden Seiten schon zueinander kommen. Das sei der Moment, wo Ägypten sein wirtschaftliches Potential entfalten könne. Denn Ägypten habe Potential: einen grossen Markt, eine gute Lage, viele vergleichsweise günstige Arbeitskräfte. Aber für den Moment hat Ägypten vor allem eine schwere Wirtschaftskrise. Und eine neue Regierung aber noch keine Stabilität. Wie schlimm ist die Lage?
«Das ist auch eine Frage der Perspektive», sagt Galal. Er habe nie dran geglaubt, dass ein paar Monate nach der Revolution schon der Aufschwung beginne. Insofern sei er auch nicht enttäuscht.
Nun ist die Ausgangslage eine andere. Als Finanzminister wird Ahmed Galal an den Erwartungen des Volks gemessen werden, eines ungeduldigen Volkes, das nach zweieinhalb Jahren Umsturz und Krise endlich bessere Zeiten sehen will.