Die deutsche Grünen-Politikerin Renate Künast ist in den letzten Tagen zur Zielscheibe eines Shitstorms geworden. In einem Tweet nach dem Axt-Attentat von Würzburg hatte sie gefragt, warum der Täter getötet und nicht angriffsunfähig geschossen worden war.
Es folgten die üblichen Reflexe in den Sozialen Medien – ein Aufschrei. Überraschend dabei: Viele Kommentarschreiber begrüssten den Tod des Angreifer. Von gerechter Strafe ist die Rede, ganz so als ob es das Zeitalter der Aufklärung nie gegeben hätte.
Sind wir also wieder im strafrechtlichen Mittelalter angekommen? «Nein», sagt der Schweizer Ethiker Christoph Rehmann-Sutter. «Die Menschheit wird nicht in die Steinzeit zurückkippen», gibt sich der langjährige Präsident der Nationalen Ethikkommission überzeugt.
Er habe durchaus Verständnis für die empörten Reaktionen nach dem Attentat. Denn die barbarische Tat lasse sich durch nichts rechtfertigen. «Allerdings, jeder Täter hat Menschenrechte, auch der brutalste Mörder hat das Anrecht auf ein faires Verfahren», sagt Rehmann-Sutter.
Jeder Mensch ist Inhaber der Grundrechte
Doch viele Kommentatoren in den Sozialen Medien sehen das offensichtlich ganz anders. Für sie muss Gewalt mit einer noch grösseren Gegengewalt beantwortet werden.
«Diese emotionale Reaktion ist teilweise verständlich», sagt Rehmann-Sutter. Denn wenn Menschen Angst hätten, würden sie nach der Gewalt des Staates rufen. «Dass Künast nun in genau diesem Moment die Staatsgewalt kritisch hinterfragt, ruft bei einigen offensichtlich Unverständnis hervor», so der Ethiker.
«Dabei ist der Kern der Frage – war die Tötung in der Situation wirklich die ultima ratio – durchaus berechtigt. Nein, diese Frage darf und muss man sogar stellen. Dies wird sich auch die Polizei fragen», sagt Rehmann-Sutter. Jeder Mensch sei per se Inhaber der Grundrechte – dem Recht auf Leben, auf gleiche Anhörung und auf einen fairen Prozess.
Je weniger ein Mensch des Gebrauchs seiner Vernunft mächtig ist, desto mehr neigt er zur Rache.
Wird jetzt der Tod des Attentäters begrüsst, so hat das nach Rehmann-Sutter mit dem Menschenbild der Aufklärung nur noch sehr wenig zu tun. «Rachegelüste sind zwar menschliches – staatliche Organe aber können sich nicht über Rache legitimieren.»
Denn mit Rache könne man Konflikte nicht beilegen. «Rache zu üben, ist zwar eine nachvollziehbare emotionale Reaktion – hat aber nichts mit umsichtiger Verantwortung zu tun.»