Die Rue des Tanneries im 13. Arrondissement von Paris ist eine stille Seitenstrasse. Gelegentlich braust ein Motorrad an der Schaufensterscheibe des winzigen Büros des Journalistenkollektivs Youpress vorbei. Leila Minano hat hier einen kleinen Schreibtisch, auf dem sich Papierberge stapeln und irgendwo ihr Laptop summt. Die 35-jährige war in jüngster Zeit viel unterwegs, in Haiti, auf der Krim, in Syrien.
Zwei Jahre ist es nun her, seit Minano und Mitautorin Julia Pascual vom Gesellschaftsressort von «Le Monde» einen Sturm entfachten. Mit ihrem Enthüllungsbuch «Der unsichtbare Krieg» wurden sie wochenlang in Radio- und Fernsehtalkshows herumgereicht. Das Thema der sexuellen Attacken in der Armee lässt Minano bis heute nicht los. Zumal es noch immer ungelöst sei, ja gar nicht konsequent angegangen werde. Vieles sei noch wie früher, sagt sie. Im Unterschied zu früher wisse man aber heute Bescheid.
Es gibt weiterhin sexuelle Gewalt in den französischen Truppen. Zumindest ist das Thema jetzt öffentlich.
Am Tag, an dem ihr Buch in den Läden war, sah sich das Verteidigungsministerium gezwungen, selber eine Untersuchung einzuleiten. Plötzlich trat Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian mit deutlichen Worten vor die Medien: Man müsse den Opfern bei ihren Anzeigen helfen, ebenso den verantwortlichen Kommandierenden. Er habe deshalb unverzüglich die Fachgruppe «Thémis» gebildet, sagte er damals.
Am Ende blieb es laut Minano aber bei primär symbolischen Massnahmen. Es habe zwar starke Zeichen gegeben, indem man etwa die sexuelle Belästigung ins Militärgesetz aufgenommen habe. Dazu eine Anlaufstelle, wo Opfer anonym Anzeige erstatten könnten. Nach wie vor fehlten aber Statistiken, obwohl sie vom Ministerium versprochen worden seien. Es sei deshalb schwer abzuschätzen, wie oft Übergriffe gegen Frauen – und vereinzelt auch gegen Männer – vorkämen.
Angst vor Ausgrenzung und Entlassung
Zwar handelt es sich keineswegs um ein rein französisches Problem. In den USA gibt es gar ein Vielfaches der Missbrauchsfälle. Praktisch in jeder Armee sind sexuelle Übergriffe nicht bloss rare Einzelfälle.
Doch selbst dort, wo das Problem erkannt ist, ist es längst nicht gelöst. Bei Minano melden sich immer wieder neue Opfer. Per Telefon, per Mail oder mit langen Briefen. Sie heissen Alice oder Marine, Clarisse oder Stéphanie. Fast immer sind es Pseudonyme. Sie wollen zwar auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Doch sie fürchten zugleich Hohn und Spott und Ausgrenzung, wenn sie ihre Identität preisgeben.
In den Eliteschulen hat sich nicht viel verändert. Man signalisiert den Frauen, dass sie unerwünscht sind beim Kriegshandwerk.
Vor allem hätten die Opfer Angst, entlassen zu werden und sich die berufliche Karriere zu vermasseln, für die sie alles gegeben hätten, berichtet Minano. Sie fordert deshalb, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle ausserhalb der Streitkräfte erfolgt. Für Strafen müssten zivile Gerichte und nicht die Militärjustiz zuständig sein. Denn innerhalb des Militärapparats obsiege stets das Bedürfnis, bloss ja nicht den guten Ruf der Armee zu beflecken.
Skandalös ist für die Journalistin auch, dass sich an den Eliteschulen der Armee wenig im Umgang mit Frauen verändert habe. Ihnen werde weiterhin signalisiert, man wolle sie eigentlich nicht. Sie seien fürs Kriegshandwerk nicht geschaffen.
Man uriniert an die Zimmertüren der Frauen, lädt sie nicht zu Festen ein und schliesst sie damit komplett aus.
Minano schildert Fälle, bei denen Männer an die Zimmertüre von Frauen pinkelten. Oder man lädt sie nicht zu Festen ein oder schliesst sie vollständig aus. Sind die Frauen dann doch einmal bei alkoholseligen Feiern dabei, kommt es laut Minano oft zu Übergriffen: Zuerst Anzüglichkeiten, dann vulgäre Bemerkungen, schliesslich Betatschen, psychischer Druck und gelegentlich gar Vergewaltigungen.
In Frankreich gilt offiziell nun eine Null-Toleranz-Politik. Tatsache ist aber, dass in der Armee ein Klischee weiterhin weit verbreitet ist: Wir Franzosen haben doch solch aggressives Verhalten nicht nötig, wir sind Verführer, wir sind Casanovas.
Seitens der Armeeführung werde behauptet, in der Armee gebe es nicht Männer und Frauen, sondern nur Militärangehörige. In Wirklichkeit passiert noch immer zu wenig. Fehlbare werden zu selten hart angefasst. Für Minano heisst das: Journalistisch dranbleiben am Thema.