SPD-Chef Sigmar Gabriel wurde wieder mal um ein Interview gebeten. Und das geschieht mehr oder weniger täglich. Die «Rheinische Post» stellte Gabriel eine ganze Reihe kritischer Fragen zur Steuerpolitik, zur Lohnpolitik, zur Tarifautonomie und zur Koalition mit den Grünen. Und in diesem Zusammenhang kam die verheerende Frage: «Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm Tempo 120 auf der Autobahn. Was halten Sie davon?»
Antwort Gabriel: «Der Rest der Welt macht es ja längst so. Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt.» Das war die Katastrophe. Ein Erwachsener als geistig einigermassen gesund eingeschätzter Spitzenpolitiker will Tempo 200 verbieten. Und das in Deutschland. Und das im Wahlkampf.
Sofort taten die Medien das, was sie natürlich tun mussten. Sie riefen den SPD-Kanzlerkandidaten an, Peer Steinbrück. Der Mann, der bisher in der SPD für das Betreten von Fettnäpfen eigentlich zuständig gewesen war. Der, gewitzigt durch seine bisherige Erfahrung mit glitschiger Materie, reagierte blitzartig richtig und distanzierte sich sofort von den Äusserungen seines Partei-Chefs.
Was wiederum Gabriel dazu führte, seine Aussagen auch etwas zu relativieren. Obwohl er eigentlich Recht hatte. Denn: Tempo 120 ist laut einem Parteitags-Beschluss geltende Politik der SPD.
Das Bremsmanöver kam jedenfalls zu spät. Der Schaden ist angerichtet. Die Kommentare in den heutigen Zeitungen sind absolut vernichtend. Tenor: Wer kann so etwas fordern? Diesen Schaden für den Wahlkampf wird die SPD schlecht wieder gut machen können.
Die SPD kann das vielleicht nicht, aber die Bild-Zeitung. Die bringt heute sozusagen die Gegenkatastrophe: Merkel hat keine reine Weste. Genauer: Bild lanciert auf der Front-Seite wieder einmal ein Buch eines eigenen Mitarbeiters. Es heisst: Das erste Leben der Angela M.
Darin die These: Angela Merkel habe dem DDR-Regime näher gestanden als man bisher angenommen habe. Sie sei nicht eine Regime-Gegnerin gewesen, sondern zuerst mal eine junge Frau, welche sich für einen Reform-Kommunismus eingesetzt habe. Die Abgeordnete Merkel, selber eigentlich keine unbekannte Hinterbänklerin, seit mittlerweile acht Jahren Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Merkel hat dem Bild-Autor gegenüber nicht zu den Vorwürfen Stellung genommen. Sie hat aber immer wieder gesagt, sie habe dem SED-Regime nicht nahe gestanden. Das hat man ihr denn auch 20 Jahre lang abgenommen.
Jetzt droht also auch der CDU eine Diskussion, welche deren Wahllokomotive, deren Spitzenkandidatin bremsen könnte. Oder sollte. Wenn es nicht gleich geht, wie in solchen Fällen üblich: Nämlich, dass der Grad der heutigen medialen Aufregung über diese beiden Sensationen umgekehrt proportional ist zum Grad der medialen Aufregung in zwei Wochen.