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International Guantánamo-Insasse sorgt für transatlantische Verstimmungen

Guantánamo ist kaum mehr in den Schlagzeilen. Doch noch immer sitzen 122 Gefangene in der amerikanischen Militärbasis auf Kuba fest. Einer von ihnen heisst Shaker Aamer. Der Fall des Briten ist inzwischen zu einer kleinen Staatskrise zwischen Grossbritannien und den USA angewachsen.

Andrew Mitchell spricht auf einer Strasse.
Legende: Der britische Politiker Andrew Mitchell setzt sich für den Saudi Shaker Aamer ein. Keystone

Shaker Aamer, ein Saudi mit britischer Aufenthaltsbewilligung, wurde 2001 in Afghanistan als Al-Kaida-Mitglied verhaftet. Einen Prozess hat er nie erhalten.

Seit Jahren bemüht sich die britische Regierung, Shaker Aamer nach Hause zu seiner Familie in London zu holen. Kürzlich reisten britische Parlamentarier nach Washington, um Druck für seine Freilassung zu machen.

Diese Woche erschien in der «New York Times» ihr Kommentar. Sie bezeichnen ihren Besuch darin als «Schlag ins Gesicht Grossbritanniens». SRF News hat mit dem konservativen Abgeordneten Andrew Mitchell gesprochen. Er war Teil dieser Delegation.

SRF News: Sie haben sich sehr frustriert geäussert nach Ihrem Besuch in Washington. Wurden Sie nicht angemessen empfangen?

Andrew Mitchell: Wir wurden von einflussreichen Senatoren wie John McCain und Dianne Feinstein gut empfangen. Sie verstanden auch nicht, weshalb die Übergabe von Shaker Aamer so lange dauert. Er wurde bereits zweimal zur Überweisung freigegeben, einmal unter George W. Bush und einmal unter Barack Obama.

Wir verstehen nicht, wie wir so hochmütig behandelt werden können.

Dann besuchten wir das Verteidigungsdepartement und das State Department. Dort trafen wir auf eine weniger hilfreiche Haltung. Man brauche Zeit, um sich zu entscheiden. Und man habe Zweifel, ob Grossbritannien fähig sei, die nötige Übersicht und Sicherheit zu garantieren. Wir fanden das – offen gesagt – beleidigend. Wir sind Amerikas älteste Alliierte und Freunde, wir kämpften mit in den Kriegen in Afghanistan und im Irak. Wir verstehen nicht, wie wir so hochmütig behandelt werden können, nachdem Premierminister David Cameron Präsident Obama im Januar persönlich um die schnelle Freigabe Shaker Aamers gebeten hat.

Im US-Kongress haben derzeit die Republikaner die Mehrheit. Sie haben im Januar ein Moratorium für den Transfer weiterer Guantánamo-Insassen beschlossen, das sie nun verlängern wollen. Erwarteten Sie wirklich offene Türen?

Nun, es gibt doch einfach ein System von natürlicher Gerechtigkeit, an das wir in der freien Welt glauben. Man ist frei, ausser man ist eines Verbrechens angeklagt und wird von einem Gericht verurteilt. Doch nichts dergleichen geschah. Der internationale Terrorismus stellt uns vor grosse Herausforderungen. Wir können nur dagegen ankämpfen, wenn wir zeigen können, dass wir besser sind als Terroristen und den Rechtsstaat respektieren. Der Fall von Shaker Aamer hinterlässt diesbezüglich ein ungutes Gefühl.

Man ist frei, ausser man ist eines Verbrechens angeklagt und wird verurteilt.

Das US-Verteidigungsdepartement sieht in Shaker Aamer weiterhin einen Hochrisiko-Insassen mit Verbindungen zu höchsten Al-Kaida-Entscheidungsträgern. So steht es wenigstens in einer Beurteilung aus dem Jahr 2007. Wie kann die britische Regierung den USA Sicherheit garantieren?

Ich bin nicht sicher, ob die US-Behörden ihn wirklich noch als Sicherheitsrisiko sehen – sie drückten es jedenfalls nicht so aus. Tatsache ist: Falls er eines Verbrechens angeklagt wird, dann wird er einen Gerichtsprozess erhalten – und wenn nicht, dann sollte er freigelassen werden. 13 Jahre Haft in Guantánamo würde als Strafmass schon für viele Schuldsprüche reichen.

Wenn Shaker Aamer zurückkehren könnte, was würde ihn dort erwarten?

Nun, er wäre wie jeder britische Bürger dem britischen Gesetz unterworfen, und würde zur Verantwortung gezogen, falls er es brechen würde. Und er würde von Gesundheitsspezialisten die nötige Hilfe erhalten, um seine Erlebnisse zu verarbeiten. Wir sind sehr wohl fähig, die nötigen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.

Andere Rückkehrer von Guantánamo erhielten in Grossbritannien Entschädigungen in Millionenhöhe. Die britische Regierung begründete es mit nationaler Sicherheit. Lange Gerichtsprozesse hätten die britischen Geheimdienste belasten können. Wird Shaker Aamer auch ein solche Entschädigung erhalten?

Wir sind sehr daran interessiert, dass Shaker Aamer nach seiner Rückkehr über seine Erfahrungen spricht, damit wir Lehren für die Zukunft ziehen können. Es ist essentiell, dass wir wissen, warum er so lange inhaftiert war. In anderen Fällen mussten die USA für den Transfer und die Betreuung vieler Guatánamo-Rückkehrer selber bezahlen – das jedenfalls wäre in diesem Fall bestimmt nicht nötig. Wir wollen diesen britischen Einwohner einfach bei seiner Familie in London zurück haben.

Wir wollen diesen britischen Einwohner einfach bei seiner Familie zurück haben.

Eventuell tragen ihre Bemühungen schon bald Früchte. Verschiedene Medien nennen Quellen, die sagen, Shaker Aamer werde zusammen mit anderen Insassen noch im Juni freigelassen. Wissen sie wohin? Nach Saudi-Arabien oder England?

Er will nicht nach Saudi-Arabien, das hat er schon lange klar gemacht, seine Familie ist in London. Natürlich will er hier sein, das scheint mir ein völlig vernünftiger Anspruch zu sein.

Das heisst, Sie wissen nichts über eine bevorstehende Freilassung?

Es gibt Gerüchte, aber die gab es schon, und es hat nicht gefruchtet.

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

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