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International «IS ist das kleinere Übel»

Nur sunnitische Stämme können die Terrormiliz IS in ihrem eigentlichen Verbreitungsgebiet im Irak bekämpfen, heisst es. Doch diese halten sich zurück. SRF-Nahostkorrespondent Philipp Scholkmann hat einen der wichtigsten Stammesführer im Irak getroffen. Die IS sei das kleinere Übel, sagt er.

Reise durch Nordirak

Der Stamm von Scheich Ali Hatam as-Suleiman zählt drei Millionen Mitglieder im Irak. Schon einmal richteten sich alle internationalen Hoffnungen auf sunnitische Stammesführer wie ihn. Als die Amerikaner nach ihrem Einmarsch alle staatlichen Institutionen zerschlugen und der Irak in Anarchie versank. Da suchten sie in ihrer Ratlosigkeit Hilfe bei Scheich Ali und den Seinen. Sie erhielten sie gegen Geld. IS hiess damals noch Al Kaida in Irak. Die sunnitischen Stämme zwangen die sunnitischen Dschihadisten in die Knie. Sieben Jahre ist das her.

Amerikaner klopfen wieder an

«Doch die Zeiten haben sich geändert», sagt Ali Hatam as-Suleiman. Auch jetzt wieder werben die Amerikaner um die Stammesführer. Suleiman aber ist nicht bereit, ein weiteres Mal gegen eine dschihadistische Terrormiliz zu kämpfen, jedenfalls nicht unter den gegebenen Bedingungen. Der Scheich sitzt in der Galabiya aus feinem Stoff und dem Kopftuch des Wüstenscheichs in einem modernen Büro aus dunklem Holz und schwarzem Leder. Er gilt als Hardliner doch er spricht ein gepflegtes Hocharabisch.

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Er ist eine würdevolle Erscheinung trotz seiner relativen Jugendlichkeit. Sein Büro hat der 43-jährige Herr über wohl drei Millionen Stammesangehörige an einem gesicherten Ort in der autonomen Kurdenregion. Sie ist ein Fluchtort seit jenen Tagen, in denen der Scheich in Ramadi den sunnitischen Aufstand gegen den starken Mann in Bagdad anführte, den damaligen schiitischen Premier Nouri al Maliki.

Maliki schickte die Armee

Vor einem knappen Jahr war das. Maliki ging auf keine der sunnitischen Forderungen ein. Er schickte stattdessen die Armee in die Provinz Anbar und schlug die Protestbewegung mit aller Gewalt nieder. Die Antwort war jener Schulterschluss, der das Land in den letzten Monaten in den Bürgerkrieg zurückstiess.

Stammesführer wie Scheich Ali Hatam, entlassene baathistische Generäle und andere Enttäuschte aus den alten Kommandostrukturen von Saddam Hussein gingen ein machiavellistisches Bündnis ein mit den internationalen Dschihadisten. Sie vertrieben Malikis irakische Regierungsarmee aus einem Grossteil der sunnitischen Provinzen. Sie kamen bis dicht vor Bagdad. So brachten sie den Konflikt in die internationalen Schlagzeilen. Die Welt reagierte mit Schrecken, Präsident Obama schickte Kampfflugzeuge und Militärberater nach Irak zurück.

«Das Problem aber ist nicht militärisch, es ist politisch», sagt Suleiman. Er stellt Forderungen auf der Linie jener Protesttage in Anbar vor einem Jahr. Die Provinzen müssten weitreichende Autonomie erhalten, die Sunniten eigene Truppen.

«IS weniger schlimm als Iran»

Nur wenn das geschehe, sei er willens und in der Lage, seine Stammeskämpfer ein weiteres Mal gegen die Dschihadisten zu mobilisieren. Die Kraftprobe mit Bagdad aber hat bereits enormes Leid gebracht, nach Anbar und anderswo. Millionen Leute sind vor den Kämpfen geflohen.

Scheich Ali will nicht missverstanden werden. «Was die IS tut, hat nichts mit dem Islam zu tun», sagt der sunnitische Würdenträger. Doch schlimmer noch als IS sei ein Irak unter iranischem Joch, mit einer Regierung, die schiitische Milizen im Kampf gegen Sunniten mobilisiere. «Wenn wir die Dschihadisten jetzt bekämpfen, fallen wir in die Falle der Iraner», sagt der Scheich. Die sunnitischen Stammesführer sind nicht einer Meinung. Schon Premier Maliki versuchte sie gegeneinander auszuspielen. Einige sind zum Widerstand bereit, offensichtlich eine Minderheit. In Bagdad ist seit dem Sommer ein neuer Premier im Amt. Haider al Abadi.

Hoffnung durch neuen Premier?

Er spricht tatsächlich von Dezentralisierung, von der Möglichkeit regionaler Truppen. Ist Abadi damit nicht genau auf der verlangten Linie? Ali Hatam al Suleiman ist nicht überzeugt. «Wir glauben nicht an Worte, nur noch an Taten», sagt der sunnitische Scheich. Er bezweifelt, dass sich Abadi, der neue Schiit an den Schalthebeln in Bagdad, genügend vom iranischen Einfluss distanzieren könne, um die sunnitischen Forderungen zu erfüllen.

Der Scheich selbst ist keineswegs unumstritten auch im sunnitischen Lager, doch er spricht mit der Autorität des Herrn über Iraks grössten Stamm. Ali Hatim as-Suleiman schlägt die Tür nicht zu, warnt aber düster. Die Kämpfe würden auch in die Hauptstadt Bagdad getragen, wenn sich binnen zwei Monaten kein Kompromiss ergebe.

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