Seydisfjördur ist so wie die meisten der wenigen Dörfer hier an der Ostküste – klein. Nur gerade knapp 700 Einwoher leben in Seydisfjördur, doch das Fischerdorf hat im Gegensatz zu vielen Ortschaften in der Region eine eigene Schule. 80 Schülerinnen und Schüler besuchen sie bis zum 16. Geburtstag.
Tinna Gudmunsdottir, die drei Kinder an der Schule hat, ist sehr stolz auf ihren Ort: «Vor hundert Jahren boomte Seydisfjördur wegen seines geschützten Hafens und der Nähe zu Skandinavien», erzählt Gudmundsdottir und weist darauf hin, «dass damals dieser Ort mit Reykjavik um die Rolle der Hauptstadt im unabhängigen Island kämpfte».
Nach dem Zweiten Weltkrieg aber begannen sich die beiden Städte sehr unterschiedlich zu entwickeln: Reykjavik boomte als Standort amerikanischer Truppen und als politisches Zentrum. Der Osten hingegen geriet in Vergessenheit. Erst im Zuge der grossen Finanzkrise vor acht Jahren erinnerten sich die Menschen vor Ort an ihre Stärken.
Sushi fast wie in Japan
Dazu gehörte die Kultur, sagt Tinna Gudmunsdottir: «Nach dem Zusammenbruch der Banken waren wir alle am Boden und schauten nach innen, doch dann begannen wir wieder zu kämpfen – und bauten hier ein Zentrum für moderne Kunst auf». Sie ist die Kuratorin. Ihr Nachbar David Kristinsson wiederum entdeckte das Meer als lokale Speisekammer wieder.
«Wir haben die besten Rohstoffe gleich vor unserer Haustüre und haben deshalb hier ein Sushi-Restaurant eröffnet, das höchsten Ansprüchen genügen soll», sagt David Kristinsson. Er hat bis zur Finanzkrise Nachtklubs in der Hauptstadt Reykjavik betrieben und ist danach mit seiner Familie an die Ostküste umgezogen.
Wir haben die besten Rohstoffe gleich vor unserer Haustüre und haben deshalb hier ein Sushi-Restaurant eröffnet, das höchsten Ansprüchen genügen soll
Das Sushi-Lokal gehört heute zu den 30 besten Michelin-Restaurants Europas. Kristinsson hat unterdessen drei weitere Resturants und vier Hotels in Seydisfjördur eröffnet. Er trägt damit zum grossen Tourismus-Boom bei, den Island in den letzten Jahren erlebt. Statt wie vor der Krise mit gut 300’000 Besucherinnen und Besuchern, kann das Land in diesem Jahr mit fast zwei Millionen Gästen rechnen.
Finanzielle Erholung und traditionelle Werte
Die Nachbargemeinde Fjardabyggd liegt zwar nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt. Aber dazwischen sind zwei hohe Bergketten und zwei tiefe Fjorde, die Fahrt zwischen den beiden Orten dauert fast zwei Stunden. «Unsere Gemeinde besteht aus fünf Ortschaften an fünf verschiedenen Fjorden», erklärt Bürgermeister Jon Björn Håkansson. «Mit unseren ingesamt gut 4'500 Einwohnern sind wir immerhin die zehntgrösste Gemeinde des Landes.»
Noch stolzer wird der liberale Lokalpolitiker, wenn es um die Wirtschaftskraft seines Ortes geht: «Wir produzieren mehr als ein Viertel der Exportgüter von ganz Island.» In Fjardabyggd sind drei der grossen Fischereifabriken des Landes und die grösste Aluminiumschmelze Islands angesiedelt.
Dank der finanziellen und wirtschaftlichen Erholung des Landes in den letzten acht Jahren und der Rückbesinnung auf die traditionellen Werte und Stärken des Inselstaates herrscht nun auch in der Peripherie wieder eine Aufbruchstimmung, wie Håkon Gudrödarson sagt. Er wuchs hier an der Ostküste in einer Bauernfamilie auf und liess sich dann in der Schweiz zum Hotelier ausbilden. «Die Menschen sind zuversichtlicher geworden und wagen es, in den Ort zu investieren.»