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Demonstration gegen die Luftangriffe der saudi-arabischen Koalition im Jemen.
Legende: Demonstration gegen die Luftangriffe der saudi-arabischen Koalition im Jemen. Keystone/Archiv

International Jemen: 20 Millionen Menschen sind von Hilfslieferungen abhängig

Der Jemen steht kurz vor dem Zusammenbruch. Sollten die Konfliktparteien im Land nicht bald ein Friedensabkommen schliessen, drohe eine Hungersnot, sagte kürzlich ein UNO-Mitarbeiter. SRF News befragte den Islamwissenschafter und Terrorismusexperten Guido Steinberg zur Lage im Konfliktgebiet.

SRF News: Der Jemen soll kurz vor dem Kollaps stehen, ist das wirklich der Fall?

Guido Steinberg

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Portrait von Guido Steinberg

Der promovierte Islamwissenschaftler ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Bis 2005 arbeitete er als Terrorismusreferent für die deutsche Regierung. An der SWP erforscht er die Politik des Nahen Ostens und den islamistischen Terrorismus.

Guido Steinberg: Ja, das ist tatsächlich der Fall. Schon vor diesem Krieg war die Lage im Jemen katastrophal, vor allem, weil der Wassermangel immer dramatischer wird. Das hat sich verstärkt, weil das Land von der Versorgung durch der Aussenwelt abgeschnitten ist. Die Saudis und ihre Verbündeten haben eine Seeblockade und eine Luftblockade verhängt, so dass mittlerweile mehr als 20 Millionen Einwohner des Landes von Hilfslieferungen abhängig sind. Die kommen aber viel zu selten.

Was müsste geschehen, damit die Kriegsparteien im Jemen Frieden schliessen können?

Eigentlich sieht die Lösung ganz einfach aus, weil beide Kriegsparteien sich nicht gegeneinander durchsetzen können. Auf der einen Seite steht die immer noch legitime Regierung unter Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, die von den Emiraten und Saudi-Arabien unterstützt wird. Sie geht vor allem mit der Luftwaffe gegen ihre Gegner vor. Die Koalition schafft es aber nicht, sich im Norden des Landes, in den Bergen und Hochebenen militärisch durchzusetzen, weil sie am Boden zu schwach ist. Die Huthi-Rebellen hingegen, zusammen mit den Truppen des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, sind in den Bergen stark, obwohl sie keine Luftwaffe haben. Sie müssen Verluste verzeichnen und können sich auch nicht gegen die von den Saudis angeführte Koalition durchsetzen. Man könnte sich jetzt an einen Tisch setzen und eine Lösung ausarbeiten, doch die Forderungen beider Lager gehen dem jeweils anderen noch zu weit.

Eine militärische Lösung zeichnet sich in dem Konflikt also nicht ab. Weshalb lenkt Saudi-Arabien trotzdem nicht ein?

Saudi-Arabien hat andere Kriegsziele. Sie gehen sehr weit über das hinaus, was bis jetzt erreicht wurde. Es gibt die Resolution des UNO-Sicherheitsrates 22.16 von 2015, die festlegt, dass die Rebellen die Hauptstadt Sanaa zu räumen haben und ihre Waffen abgeben müssen. Darauf beharrt Saudi-Arabien, und zwar vor allem deshalb, weil das Land der Auffassung ist, dass die Huthis eng mit dem Iran verbündet sind. Sie sind der Meinung, dass – wenn die Huthis Sanaa nicht aufgeben –, an der saudi-arabischen Südgrenze ein feindlicher Staat entsteht, der vom Iran kontrolliert wird. Das will das Königreich unbedingt verhindern.

Hungersnot und Cholera

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Neben der Zerstörung von über der Hälfte der Gesundheitseinrichtungen kämpft die Bevölkerung im Jemen auch mit der Versorgungssituation. Die 18-jährige Saida Baghili (Bild) ist eine von über zwei Millionen Menschen, die laut der UNO unterernährt sind. 21 Millionen sind auf Nothilfe angewiesen. Dazu sind mittlerweile 50 Cholera-Fälle bekannt.

Die USA fordern Saudi-Arabien dazu auf die Luftangriffe einzustellen, wird der Druck der Amerikaner Friedensgespräche beschleunigen?

Ja, der Druck der Amerikaner ist schon wichtig. Doch sie spielen eine zumindest dubiose Rolle. Sie haben sich in den letzten Wochen von den Saudis abgesetzt, indem sie ein Ende der Kämpfe gefordert haben. Man muss aber darauf hinweisen, dass die Saudis ohne amerikanische Unterstützung diese Luftangriffe gar nicht fliegen könnten. Die saudi-arabischen und auch die emiratischen Jets werden aus der Luft von amerikanischen Flugzeugen betankt. Die Zieldaten werden zum Teil von den Amerikanern geliefert, und auch die Munition, die die Saudis verschiessen, wird von den USA geliefert. Deshalb haben sie es in der Hand, die Saudis zu stoppen. Sie tun das nicht, weil Saudi-Arabien mit der amerikanischen Politik der letzten Jahre enorm unzufrieden ist. Sie kritisieren vor allem das Atomabkommen der USA mit dem Iran. Und damit die USA die Saudis als Verbündete nicht verlieren, unterstützen sie sie nun in ihren regionalen Kleinkriegen gegen die Iraner. Das ist eines der Kernprobleme. Die Amerikaner hätten die Möglichkeit, diesen Krieg innerhalb von wenigen Tagen zu stoppen, wenn der politische Wille da wäre. Der ist eben nicht da.

Die Amerikaner spielen eine dubiose Rolle.

Die humanitäre Lage im Jemen ist dramatisch. Seit eineinhalb Jahren herrscht Krieg. Sie sehen also keinen Grund zur Hoffnung?

Ja, das ist sicherlich so. Es gibt noch die Möglichkeit, dass die Huthi-Rebellen und der ehemalige Präsident Saleh sich tatsächlich an die UNO-Resolution von 2015 halten, aber sie haben keinen Grund dazu. Der UNO-Sondergesandte für den Jemen, der Mauretanier Ismail Ould Cheikh Ahmed, hat einen Plan vorgelegt, der zu Frieden führen könnte. Der Plan beinhaltet, dass sich die Huthis tatsächlich aus Sanaa zurückziehen und dass die Regierung zumindest teilweise abtreten müsste. Mit ein bisschen Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten wäre etwas zu erreichen. Aber beide Seiten haben diesen Plan abgelehnt.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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