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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Legende: Jean-Claude Juncker war als luxemburgischer Ministerpräsident massgeblich an der Schaffung des Euro beteiligt. Keystone

International «Juncker verkörpert die Fehler der Vergangenheit»

Die EU steht vor vielfältigen Problemen: Der Brexit, der Druck an den Aussengrenzen und die unverdaute Eurokrise. An der Spitze steht zwar mit Jean-Claude Juncker ein altgedienter EU-Politiker. Doch ist er der richtige, um die EU aus der Krise zu führen?

Die Grundsatzdebatte über die Zukunft der EU ist nach der schicksalhaften Brexit-Abstimmung ins Rollen gekommen. Im Mittelpunkt der Diskussion: Die EU-Kommission sowie deren Präsident Jean-Claude Juncker.

Sebastian Ramspeck

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Sebastian Ramspeck ist SRF-Korrespondent in Brüssel. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Der Brexit ist nicht die einzige Baustelle. Die EU ist an mehreren Fronten gleichzeitig gefordert: Flüchtlinge an den Aussengrenzen, Krieg in der Ukraine und wirtschaftliche Probleme. Viel Arbeit für die EU-Führungsspitze. Schafft Jean-Claude Juncker das? Einschätzungen von unserem Brüsseler SRF-Korrespondenten Sebastian Ramspeck:

SRF News: Ist Jean-Claude Juncker die richtige Person, um die EU aus der Multikrise zu führen?

Sebastian Ramspeck: Nein, ich halte ihn für den falschen Mann an der Spitze der Europäischen Kommission.

Weshalb?

Weil er die Fehler der Vergangenheit verkörpert. Jean-Claude Juncker war als luxemburgischer Ministerpräsident etwa massgeblich an der Schaffung des Euro beteiligt. Das ist kein Ruhmesblatt. Denn der Euro ist ein Projekt, das gegen die Warnungen vieler Ökonomen aus rein politischen Gründen durchgepeitscht wurde. Eine Zeitlang ist das gut gegangen. Jetzt bezahlt Europa dafür einen hohen Preis.

Was hört man so in den Gängen der Brüsseler EU-Zentrale?

Zu Beginn haben viele in Juncker einen Hoffnungsträger gesehen. Er selber hat seine Kommission als die «Kommission der letzten Chance» bezeichnet. Heute wird Juncker vor allem als Hypothek wahrgenommen. Allerdings, und das ist wichtig: Der Einfluss des Kommissionspräsidenten ist beschränkt. Die Zukunft der EU steht und fällt dann doch nicht mit Juncker.

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Die britische Boulevardpresse ist ja der Meinung, dass Juncker ein Alkoholproblem habe und deshalb nicht in der Lage sei, die Sitzungen der Kommission zu führen. Ist da was dran oder kann man das als Boulevard-Geplänkel beiseitelegen?

Wer Juncker bei seinen öffentlichen Auftritten verfolgt, sieht einen Mann, der zumindest nicht gerade topfit wirkt. Juncker trinkt und raucht sehr gerne, das ist kein Geheimnis. Auch nicht, dass er gesundheitliche Probleme hatte. Doch ob Junckers Zustand seine Arbeit ernsthaft beeinträchtigt – das kann ich nicht beurteilen.

Wer unterstützt Juncker denn noch?

Im EU-Parlament geniesst Juncker nach wie vor Rückhalt. Viele Regierungen würden ihn dagegen am liebsten sofort loswerden – die polnische oder die tschechische zum Beispiel. Doch Juncker bleibt, nur schon deshalb, weil sich das EU-Parlament und die 28 EU-Staaten schwerlich auf einen anderen Kandidaten einigen könnten.

Das ist kein starkes Argument, spricht denn sonst nichts für ihn?

Juncker kennt die EU wie wenig andere, er ist intelligent, charmant. Und er ist ein begnadeter Redner. Seine grösste Schwäche liegt in seiner Abgehobenheit, er ist weit weg von den Wünschen und Sorgen der Menschen in Europa.

Das Amt des Kommissionspräsidenten ist aber auch ein unmöglicher Job: einflussreich, im Rampenlicht – und doch gleichzeitig machtlos. Denn am Ende entscheiden über die wirklich wichtigen Dinge in der EU immer die Staats- und Regierungschefs. Zumindest könnte ein nächster Kommissionspräsident einen echten Neuanfang, eine neue Generation verkörpern.

Und zum Schluss: Was kann man von Juncker erwarten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative?

Ich erwarte nicht, dass Jean-Claude Juncker der Schweiz bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative Zugeständnisse machen wird. Im Gegenteil: Er dürfte seinerseits Forderungen stellen, etwa, dass die Schweiz jenem Rahmenabkommen zustimmt, auf das Brüssel seit Jahren drängt.

Das Gespräch führte Richard Müller.

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