In der Regierung des deutschen Bundeslandes Sachsen wird die Selbsttötung des Terrorverdächtigen im Leipziger Gefängnis völlig unterschiedlich bewertet. Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) widersprach öffentlich Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) und gab der Justizvollzugsanstalt (JVA) eine Mitschuld.
«Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen», sagte Dulig in Dresden. Es könne nicht sein, dass ein unter Terrorverdacht stehender Mann wie ein «Kleinkrimineller» behandelt werde.
Nach der Abklärung durch eine im Umgang mit Terroristen unerfahrene Psychologin sei der Mann von der JVA als nicht suizidgefährdet eingestuft worden. Justizminister Gemkow hatte das verteidigt. Anlass für persönliche Konsequenzen sieht er deshalb nicht.
Naheliegende Suizidgefahr
Dulig dagegen sagte unmittelbar nach der Medienkonferenz von Justizminister Gemkow: «Der aktuell wohl brisanteste Gefangene der Bundesrepublik stand unter Verdacht, einen Sprengstoffanschlag zu planen und damit nicht nur sein eigenes, sondern das Leben vieler unschuldiger Menschen zu opfern. Schon damit hatte sich die Frage nach möglicher Suizidgefahr des Gefangenen geklärt», sagte der Wirtschaftsminister.
Er erwarte schnelle und umfassende Aufklärungsarbeit – nicht nur der Justiz. «In den vergangenen Wochen wurde viel Vertrauen in die Arbeit der sächsischen Polizei und nun auch der Justiz beschädigt, welches unter allen Umständen wieder hergestellt werden muss», sagte Dulig.
«Dunkler Schatten» auf sächsischer Justiz
Dass der Tod des Terrorverdächtigen nicht verhindert werden konnte, rief auch in Deutschland heftige Kritik hervor. Die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), sagte der Agentur Reuters, der Selbstmord werfe einen «dunklen Schatten» auf die sächsische Justiz. «Die Aufklärung durch die betroffene Justiz selbst wird nicht reichen», sagte Künast. «Es braucht eine unabhängige Untersuchung.»
Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte eine «umfassende und schnelle Aufklärung von den örtlichen Justizbehörden.»
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach kritisierte in der «Welt» die ungenügenden Kontrollgänge in der Justizvollzugsanstalt: «Eine ständige Sitzwache wäre notwendig gewesen.»
Durch eine solche Wache vor der Zelle wird nach Angaben des sächsischen Justizministeriums nun der zweite Verdächtige bewacht, der sich in der JVA Dresden in Haft befindet. Dabei handelt es sich um den Besitzer der Wohnung in Chemnit, in der der Sprengstoff gefunden worden war.
Justizminister schliesst Rücktritt aus
Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, legte Justizminister Gemkow gar den Rücktritt nahe. Sie bezeichnete den Suizid als Skandal, der nicht ohne Folgen bleiben dürfe. Weder könnten so die Mittelsmänner ausfindig gemacht werden, noch werde es Informationen zu den Hintergründen der Tat geben.
Gemkow lehnt seinen Rücktritt ab: «In meinen Augen wäre das eine Flucht vor dem, was jetzt hier aufzuklären ist», sagte der CDU-Politiker am Donnerstagabend im ZDF. In den kommenden Tagen gehe es darum, aufzuarbeiten, was geschehen sei.
Kritik an den Justizbehörden Sachsens wies er zurück. Die Leitung und die Angestellten der JVA Leipzig und die zuständige Psychologin hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Die Zelle des Verdächtigen sei in regelmässigen Abständen überwacht und eine akute Suizidgefahr nicht erkennbar gewesen.
Der Syrer hätte möglicherweise Hinweise zu anderen Terroristen oder gar zum ganzen terroristischen Netzwerk des IS liefern können, erklärt SRF-Korrespondent Adrian Arnold den Ärger der Politik. All dies sei nun durch den Suizid hinfällig geworden.