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International Katastrophale Zustände an Budapester Bahnhof

Erneut sitzen Hunderte Flüchtlinge am Budapester Ostbahnhof fest. Obwohl viele von ihnen ihr letztes Geld für Tickets ausgegeben haben, dürfen sie nicht ausreisen. Die Menschen harren auf dem Boden aus, ohne Wasser – und ohne Hoffnung. «Die Katastrophe nimmt ihren Lauf», sagt ein Journalist.

Bernhard Odehnal

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Bernhard Odehnal ist Osteuropa-Korrespondent der Zeitung «Tages-Anzeiger». Er berichtet seit den 1990er-Jahren für Medien in der Schweiz und in Österreich aus Osteuropa und den Balkan-Staaten.

SRF News: Sie befinden sich in einer Fussgängerpassage vor dem Budapester Ostbahnhof. Wie ist die Situation vor Ort?

Bernhard Odehnal: Die Lage ist einfach katastrophal. Ich kann nicht sagen, wie viele Menschen hier lagern. Es könnten 1500 sein, oder auch 2000. Sie sitzen überall auf dem Steinboden. Es sind Familien hier, es sind sehr viele kleine Kinder dabei, die auf dem Boden liegen. Mütter müssen in aller Öffentlichkeit stillen. Es gibt kein Wasser, nicht einmal zum Waschen. Der Gestank ist unerträglich. Und vor allem haben diese Menschen jede Hoffnung verloren, nachdem sie begriffen haben, dass sie doch nicht ausreisen dürfen.

Am Morgen fuhr kein Zug mehr. Ist der Bahnhof immer noch gesperrt?

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Die Glückskette ruft zu Spenden für die Flüchtlinge auf. Diese können auf das Konto 10-15000-6 (Vermerk «Flüchtlinge»), auf www.glueckskette.ch oder via App «Swiss Solidarity» überwiesen werden.

Nein, der Bahnhof ist nicht mehr gesperrt. Er war es, weil zu viele Flüchtlinge auf den Zug wollten. Dann hat ihn die Polizei komplett geräumt. Jetzt hat sie ihn umstellt und lässt nur Menschen rein, die einheimisch oder Touristen sind, aber keine Menschen, die aussehen wie Flüchtlinge. Das heisst, die Flüchtlinge müssen draussen bleiben, obwohl viele von ihnen – und das ist der Zynismus der ungarischen Regierung und vielleicht auch der ungarischen Bahn – gültige Tickets nach Wien oder München haben. Diese haben sich gestern Fahrkarten für die Züge gekauft. Die sind nicht billig hier. Es gab lange Schlangen. Sie haben ihr letztes Geld zusammengekratzt, konnten nicht mehr rechtzeitig auf die Züge. Sie haben nun also die Fahrkarten, aber können nicht weg.

Bei vielen verstärkt das die Wut. Es gibt junge Männer, die vor dem Haupteingang des Ostbahnhofs stehen und die ganze Zeit «Germany, Germany» und «We are humans» rufen – wir sind auch Menschen. Ich weiss nicht, wie lange das noch gut geht. Wie lange es noch zu keiner Gewalt kommt. Jetzt ist es friedlich, aber es ist schon sehr laut und die Lage ist schon sehr angespannt.

Wissen Sie, was die Regierung Ungarns für die nächsten Tage plant?

Nein, die ungarische Regierung hält sich bedeckt. Der Regierungssprecher sagt, sie kontrolliere ohnehin jeden. Ministerpräsident Viktor Orbán sagte, er fahre am Donnerstag nach Brüssel und werde das Thema mit der EU-Kommission diskutieren. Und sein Kanzleramtsminister János Lázár sagt, an dem Ganzen sei überhaupt nur die linke und liberale EU-Politik der letzten zehn Jahre Schuld.

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Das Ziel der meisten Flüchtlinge ist Deutschland. Ist Österreich nicht mehr interessant?

Nein, Österreich ist wie Ungarn nur Transitland. Das wissen die Österreicher auch. Deshalb haben sie die ersten Flüchtlinge gestern ja auch praktisch durchgewinkt. Es gab keine Polizeikontrollen. Es gab eine wirklich beachtliche humanitäre Aktion gestern am Abend und in der Nacht auf dem Wiener Westbahnhof, wo Flüchtlinge von der Zivilgesellschaft, von jungen Menschen, Studenten, mit Wasser versorgt wurden, wo sie von den österreichischen Bundesbahnen auch Quartier bekommen haben. Man war in Wien auch auf einen weiteren Flüchtlingsansturm vorbereitet. Man hätte das gemeistert. Aber die Ungarn haben jetzt wieder den Riegel vorgeschoben. Und so nimmt die Katastrophe hier in Budapest ihren Lauf.

Das Gespräch führte Ursula Hürzeler.

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Aktuelle Berichterstattung aus Budapest

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