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Grenzzaun mit Klingen
Legende: Ein fast 100 Kilometer langer Grenzzaun markiert die slowenisch-kroatische Gernze bei Gibina in Slowenien. Keystone/Archiv

International Kein Europa ohne Grenzen – auch nicht für Wildtiere

Europa wird wieder mit Zäunen durchzogen. Sie sollen eigentlich Flüchtlinge abschrecken, doch haben sie auch fatale Auswirkungen auf wild lebende Tiere. Nun warnen Tierschützer, die neuen Zäune könnten zweieinhalb Jahrzehnte des Fortschritts beim Tierschutz zunichte machen.

Als die Sowjetunion Ende der 1980er Jahre zusammenbrach, war das auch für viele Tiere eine gute Nachricht, sagt der renommierte Schweizer Wildtierbiologe Urs Breitenmoser.

Von Finnland im Norden Europas bis Griechenland im Süden wurde der Eiserne Vorhang geöffnet und weite Teile des ehemaligen Niemandslands und angrenzende Gebiete wurden der Natur überlassen: «Da sind sehr viele sehr wertvolle Naturschutzgebiete entstanden, die aus einem Zaun einen Korridor gemacht haben. Das war eine sehr positive Entwicklung.»

Korridor für Luchse, Bären und Wölfe

Auch an den asiatischen Grenzen des ehemaligen Ostblocks verschwanden tausende Kilometer Zäune. Fortan konnte zum Beispiel die Saiga-Antilope in Zentralasien ihre saisonalen Wanderungen zu den Futterplätzen wieder ausweiten.

Damit brach eine neue Ära im Tierschutz an: «Mit dem Ausdehnen der EU und dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat man neue Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gefunden, die uns Hoffnung gemacht haben.» Die Experten hätten gedacht, dass man nun auch bei zentralasiatischen Wanderrouten von Tierherden zusammenarbeiten zu können.

Bald gab es positive Effekte: In Osteuropa blühten die Bären- und Wolfspopulationen auf. Doch diese Erfolgsgeschichte ist nun jäh unterbrochen worden, sagt Breitenmoser: «In jüngster Zeit entstehen wieder Grenzzäune. Einerseits umgeben sich die neuen, unabhängigen Staaten in Asien mit Zäunen. Andererseits werden auch in Europa im Zuge der Flüchtlingskrise wieder Zäune gebaut.»

Scharfkantige Zäune machen aus Tieren Hackfleisch

Die Folgen für Tiere sind in der Flüchtlingskrise untergangen. Aber unter Wildtierbiologen kursieren grausige Fotos von den Grenzen: «Gerade diese scharfkantigen Zäune in Europa sind für Wildtiere fatal. Wenn sich beispielsweise ein Rothirsch drin verfängt, verarbeitet er sich selbst zu Hackfleisch.» In Zentralasien haben die meisten Zäune weniger scharfe Zähne. Aber meist verdursten die darin verhedderten Tiere.

Zusammen mit anderen Wildtierbiologen hat Breitenmoser nun einen Appell an die Politik gerichtet. Denn die Zäune bringen nicht nur einzelnen Tieren einen elenden Tod, sie gefährden auch ganze Populationen. «Entscheidend ist, dass diese Zäune häufig in wertvollen natürlichen Habitaten errichtet worden sind. Diese müssten eigentlich als Korridor für Wildtiere gelten. Schon ein Zaun von ein paar Kilometern kann den Korridor zerschneiden.»

Zäune verhindern nötigen Gen-Austausch

Im Grenzgebiet Slowenien-Kroatien zum Beispiel ist eines der wichtigsten Siedlungsgebiete von Braunbären und Wölfen in Europa betroffen. Der neue Zaun trennt die Populationen der beiden Arten in mehrere Gruppen, das verhindert die wichtigen Wanderungen von Jungtieren und damit den Gen-Austausch. Damit droht gefährliche Inzucht.

Die Gesetze der EU verlangen eigentlich für Zäune, die wertvolle Naturräume zerschneiden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung, sagt Breitenmoser. «Doch unseres Wissens ist das bei diesen Zäunen nie auch nur in Erwägung gezogen worden.»

Der Tierschützer hofft, dass die besonders tödlichen, weil mit scharfen Zähnen bewehrten Zäune in Europa bald wieder abgebaut werden, zumal sie die Umweltgesetze der EU verletzen.

Das ist wohl eine optimistische Sicht der Dinge. Aber zumindest liessen sich mit gutem Willen manche negativen Auswirkungen von Grenzzäunen entschärfen. Zum Beispiel könnte Wachpersonal statt Draht jene Abschnitte sichern, die für Tierwanderungen besonders hinderlich sind. Doch selbst wenn solche Fortschritte möglich werden: Die kurze goldene Ära des grenzüberschreitenden Tierschutzes ist wohl schon wieder vorbei.

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