SRF: Was haben die jungen Menschen in Portugal überhaupt noch für Perspektiven?
Reinhard Spiegelhauer: Viele sehen keine grosse Perspektive mehr für sich. Sie gehen immer wieder auf die Strasse, um gegen die Arbeitslosigkeit zu demonstrieren.
Es gibt ein recht erfolgreiches Lied dieser Protestbewegung. In dem heisst es, ‹was ist das eigentlich für ein Land, in dem man studieren muss, um dann hinterher als Sklave zu enden?›. Das bezieht sich darauf, dass es für viele die einzige Chance ist, sich von Praktikum zu Praktikum zu hangeln. Aber einen wirklichen vernünftigen Job zu bekommen, ist sehr schwer.
Früher haben alle ihr Heil in den grossen Zentren, den Städten gesucht. Inzwischen gibt es schon fast eine Umkehr, dass die jungen Leute zurück gehen zu ihren Familien aufs Land.
Oder sie wandern gleich aus?
Oder sie wandern gleich aus. Das ist etwas Spezielles in Portugal, was grosse Tradition hat. Dieser Trend hat sich wieder verstärkt.
Die EU sucht derzeit in Brüssel nach Mitteln, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit anzukommen. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für dieses Problem? Ist das bloss eine Folge der Wirtschaftskrise, oder gibt es andere Gründe?
Das Ausmass hat natürlich schon viel mit der Wirtschaftskrise zu tun. In Spanien sind einfach sehr viele Jobs mehr oder minder auf einen Schlag verloren gegangen, als die Bauwirtschaft zusammen gebrochen ist, als die Immobilienblase geplatzt ist.
Natürlich hat auch der aktuelle Sparkurs einen sehr negativen Einfluss. Das spürt man vor allem in Portugal, wo die Regierung EU-Hilfen angenommen hat und einen ganz starren Sparkurs fährt.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist der Export. Viele Betriebe in Portugal haben nun begriffen, dass sie nicht mehr über niedrige Löhne konkurrieren können, sondern nur über Qualität.
Aber das bedeutet dann gleichzeitig auch, dass Ausbildung und Bildung ein immer wichtigerer Faktor wird. Und gerade da hat Portugal in den Pisa-Studien eher schlecht abgeschnitten – das Land lag deutlich unter dem OECD-Durchschnitt.
Es ist auch für die Regierung schwierig, etwas proaktiv gegen das Problem zu tun. I hre Mittel sind begrenzt, sie muss sparen. Versucht man trotzdem, auch strukturell etwas zu verändern, um zum Beispiel im Bildungssektor für Verbesserungen zu sorgen?
Ja, wobei die grössten Bemühungen erst mal die sind, tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt etwas zu tun. Es hat Arbeitsmarktreformen gegeben, sowohl in Portugal als auch in Spanien. Das Ziel ist, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und Kündigungen zu erleichtern.
Das hat aber bis jetzt nur dazu geführt, dass es für die Betriebe leichter geworden ist, Angestellte zu entlassen. Mehr Betriebe und mehr Menschen haben gekündigt. Das hat aber noch nicht die Bereitschaft erhöht, auch wieder Leute neu einzustellen.
Die EU, aber auch Deutschland und Frankreich haben bereits verschiedene Massnahmen in die Wege geleitet, um die Not der Jugend in Südeuropa zu lindern. Zum Beispiel dass mittelständische Unternehmen billige Kredite erhalten sollten, wenn sie Jugendliche ausbilden. Greifen diese Ideen?
Ganz ehrlich: Man merkt das nicht, schon gar nicht grossflächig. Es gibt kleinere Projekte in denen das passiert.
Die Forderungen gibt es zwar schon sehr lange. Dass es nun in die Tat umgesetzt werden soll, ist relativ neu. Das läuft jetzt ganz langsam an, in relativ bescheidenem Masse, muss man sagen. Insgesamt gibt es einfach nach wie vor eine ernsthafte Kreditklemme. Eine wirkliche Verbesserung kann man nicht sehen. Im Gegenteil: Die Zahlen bei der Jugendarbeitslosigkeit und auch bei der Arbeitslosigkeit insgesamt steigen sowohl in Spanien als auch in Portugal weiterhin an.
Das Gespräch führte SRF-Redaktor Christian Weisflog.