Die Spielregeln des Streits stammen direkt aus dem Pausenhof eines Kindergartens. Die roten Kinder legen den Fischteich trocken, die Gelben führen schikanöse Kontrollen für alle Besucher des Pausenhofes ein, die Roten schicken eine Flotte zum Fischteich und konsultieren die Juristen, die Gelben drohen mit Gebühren für die Benutzung des Pausenhofs – und so weiter. So ungefähr verlief bisher das Scharmützel zwischen den beiden Königreichen, die einst die halbe Welt regierten, um die sechseinhalb Quadratkilometer Fels, die vor 300 Jahren feierlich an die Briten abgetreten wurden: Gibraltar.
Der grosse Bruder soll helfen
Die neueste Démarche Londons folgt dem kindischen Drehbuch: die Zeit scheint gekommen, den grossen Bruder zu Hilfe zu rufen. Premierminister David Cameron griff deshalb gestern zum Telefonhörer, um den Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, zum unverzüglichen Eingreifen zu ermahnen. Die spanischen Grenzkontrollen seien politisch motiviert und gänzlich unverhältnismässig. Sie widersprächen folglich den Regeln des freien Personenverkehrs in der Europäischen Union.
Der grosse Bruder hörte offenbar geduldig zu, liess anschliessend allerdings verlauten, die Streithähne sollten sich lieber untereinander einigen. Die Kommission hat schon lange versprochen, sie werde sich die Lage im September vor Ort anschauen. Camerons Anruf sollte diese Inspektion bloss beschleunigen.
Derweil schwitzen die Pendler vor Gibraltar in der brütenden Sonne, aber aus der britischen Drohung mit einer Rechtsklage vor dem Europäischen Gerichtshof ist noch nichts geworden.
Europa ist für Hilfe gut genug
Das Paradox indessen, dass der euroskeptische Cameron ausgerechnet alle Hebel der Europäischen Union in Bewegung setzt, scheint niemandem aufgefallen zu sein. Dafür wissen jetzt alle Briten Bescheid über die spanischen Kolonien in Marokko und halten Vorträge im Pausenhof über Heuchelei.
Völkerrechtlich sind die widersprüchlichen Ansprüche auf den Affenfelsen durchaus einsichtig: Spanien pocht auf den Grundsatz der territorialen Integrität, die Briten stützen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner von Gibraltar. Man könnte natürlich vernünftig miteinander reden und einvernehmlich eine Übereinkunft finden. Aber das Leben im Pausenhof würde dadurch bestimmt langweilig und öd. So streiten die beiden lieber weiter, bis der Herbst den politischen Alltag wiederbringt und die Kinder in die Primarschule müssen.