1035 Strafanzeigen sind bislang eingegangen, darunter betreffen 440 sexuelle Übergriffe. Gegen 50 Beschuldigte hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, 11 sind in Untersuchungshaft. Einem von ihnen wird eine sexuelle Attacke vorgeworfen. Gegen zwei Männer wurde Anklage erhoben. So die Zwischenbilanz des Kölner Oberstaatsanwaltes Ulrich Bremer.
Die Beschuldigten kämen «weit überwiegend» aus Nordafrika, sagt Bremer. Vereinzelt seien zwar auch Deutsche dabei, auch Iraner oder Iraker. «Aber weit überwiegend stammen die Personen aus Marokko und Algerien, zum Teil auch aus Tunesien.» Ein Teil der Beschuldigten ist erst seit Kurzem in Deutschland.
Ganz genau ist es so: «Es lässt sich zwar noch nicht abschliessend feststellen, weil die Beschuldigten teils von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch machen. Zum Teil gibt es aber Hinweise darauf, dass sich Beschuldigte erst seit Mitte November im Land aufgehalten haben», führt Bremer aus. Dies sei etwa bei zwei Marokkanern der Fall. Auffällig ist auch, dass sich laut Bremer kaum Syrer unter den Beschuldigten befinden.
Ein Werk der «Antänzerszene»?
Nicht bestätigen lässt sich auch die Behauptung von Justizminister Heiko Mass, die Übergriffe in Köln, Hamburg und Stuttgart in der Silvesternacht seien organisiert gewesen. Die Silvesternacht präsentiert sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft in Köln eher so: Die jungen Männer aus Nordafrika haben sich auch über soziale Netzwerke verabredet; in Nordafrika feiert man ja auch Silvester, der Kölner Hauptbahnhof bot sich als Treffpunkt an, es floss Alkohol, es kam zu Exzessen aus einer Gruppe von tausend Männern.
«Aber», sagt Bremer: «Wir haben keine tragfähigen Hinweise dafür, dass es eine von langer Hand geplante Tat war.» Es können Flüchtlinge unter den Tätern sein, aber auch Kriminelle aus der sogenannten Antänzerszene, sagt Günther Korn von der Kölner Polizei. Diese berüchtigte Antänzerszene bedrängt Touristen, rempelt sie an und raubt sie aus.
Jeder zweite Marokkaner hier begeht im ersten Jahr Straftaten. Es zeigt, dass wir ein grosses Problem haben.
Korn liefert ein Beispiel einer chinesischen Touristin, die sich letztes Jahr bei ihnen beschwert habe: «Sie ist morgens aus dem Zug gestiegen und ihr Handy wurde gestohlen. Sie ging zurück zu ihrem Hotel, wollte einchecken – danach war ihr Gepäck weg. Nachmittags ging sie zum Dom – ihr Portemonnaie wurde gestohlen. Dann beschwerte sie sich bei der Botschaft in Peking: Es könne ja nicht sein, dass man in eine deutsche Stadt käme – und am Abend sei man quasi nackt.»
Während München 3800 Taschendiebstähle pro Jahr verzeichnet, sind es Köln und Leverkusen mit einer ähnlich grossen Einwohnerzahl über 14'000 pro Jahr. Die Kölner Diebesszene ist in den letzten Jahren explodiert. Und auch die Statistik zu den Tätern ist erschreckend, befindet Korn: «Jeder zweite Marokkaner hier begeht im ersten Jahr Straftaten, sei es Körperverletzung, Diebstahl, oder etwas anderes. Es zeigt, dass wir ein grosses Problem haben.»
Fast alle haben Alkohol getrunken, fast alle nehmen Drogen – das ist ein explosiver Cocktail.
Es zeige aber auch, so der Kölner Polizist, dass diese Menschen kein Interesse hätten, längerfristig in Deutschland zu bleiben: «Sonst würden sie so etwas nicht tun.» Nach Erkenntnissen von Korn ändert sich die Szene sehr rasch. Nach drei Monaten sind viele Diebe in anderen europäischen Ländern.
Es sei durchaus möglich, dass sich diese Antänzer das Silvestergewühl zunutze gemacht haben. Und auch sie sind meist betrunken. «Fast alle haben Alkohol getrunken, fast alle nehmen Drogen – das ist ein explosiver Cocktail», so Korn.
Das führe dazu, dass die Täter, wie sie selber sagen würden, länger durchhalten und ‹arbeiten› könnten. Und sie könnten sich in einem späteren Strafverfahren auf den Standpunkt stellen, sie seien während der Tat berauscht gewesen, hätten also nicht gewusst, was sie eigentlich gemacht hätten. All diese «Vorteile» würden sie auch offen gegenüber der Polizei aussprechen.
Ein Weckruf zur richtigen Zeit?
Fazit: Die Täter kamen vor allem aus Nordafrika. Teile davon sind erst sehr kurz in Köln. Es gab auch eine Durchmischung mit der kriminellen Szene der sogenannten Antänzer. Und: Deutschlandweit organisiert waren die Taten von Silvester in verschiedenen deutschen Städten nicht.
Die Silvesternacht sei durchaus ein Weckruf für Köln, sagt Günther Korn: «Stadt, Polizei und Justiz setzen sich an einen Tisch. Mal sehen, wie lange das andauert. Aber sie setzen sich an einen Tisch und sagen ganz klar: Wir wollen, dass sich etwas ändert.»
Nur schon die Zahl der Polizisten wurde dieses Jahr verdoppelt. Doch ein bisschen Skepsis gegenüber der Politik schwingt bei Günther Korn doch durch: «Ich bin lange genug im Geschäft, um wissen, dass ein halbes Jahr später alles wieder ruhig werden kann und einschläft. Ich hoffe, dass das nicht so ist.»