Man wollte Israel überraschen, überrumpeln, militärisch überrennen – und es dem Land heimzahlen. Es ist der 6. Oktober 1973: Ägypten und Syrien wittern am Jom Kippur ihre Chance. Jom Kippur ist der Versöhnungstag, der höchste jüdische Feiertag. Israel ist auf alles vorbereitet, nicht aber auf einen Krieg.
Und so greift Ägypten aus dem Süden über den Sinai an. Syrien drängt aus dem Norden über die Golanhöhen vor. Die Angreifer stossen auf wenig Gegenwehr. Zu plötzlich kommt die Invasion.
Dann kommt die Wende
Doch dann mobilisiert Israel seine Streitkräfte, liefert sich Gefechte mit den feindlichen Armeen, zwingt erst Syrer zurück und kesselt anschliessend Ägypter ein. Das Blatt hat sich gewendet.
Der Jom-Kippur-Krieg – zumindest dessen abrupte Wende – gilt als militärische Erfolgsgeschichte für das kleine Land im Nahen Osten, trotz heftiger Kritik an der zu schlecht vorbereiteten Regierung.
Doch seitdem hat sich die Bedrohungslage verändert. Israel fürchtet heute weniger die Armeen und Panzer anderer Nationen als vielmehr Raketenangriffe und Attacken in der virtuellen Welt. Zudem muss auch Israel sparen. In vielen Departementen setzt die Regierung den Rotstift an.
Bis zu 5000 Soldaten weniger
Jetzt kommt auch das Verteidigungsministerium dran. Das hat bisher als «heilige Kuh» gegolten, sagt Gisela Dachs, Journalistin in Tel Aviv. Israel will seine Armee reformieren und flexibilisieren. Das bedeutet unter anderem: Die Streitkräfte werden verkleinert. Bis zu 5000 Berufssoldaten müssen in den kommenden Jahren mit Entlassung rechnen. Zurzeit gibt es nach Angaben des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien in Israel mehr als 175‘000 Berufssoldaten. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Einheiten mit schweren konventionellen Waffen wie Panzerverbände, Fliegerstaffeln mit älteren Maschinen und Marineeinheiten sollen aufgelöst werden. Dies sieht ein von Generalstabschef Benny Gantz vorgelegter Plan vor. Diesen bestätigte das Verteidigungsministerium am Donnerstag.
Bericht für den US-Kongress
Israel will trotz der Kürzungen weiterhin eine schlagkräftige Armee beibehalten. Konkret will das Ministerium: die Aufklärung verbessern, die Luftwaffe mit moderneren Flugzeugen ausstatten, die Fähigkeit zum Cyber-Krieg erhöhen, mehr Präzisionswaffen mit grösserer Zerstörungskraft anschaffen und die Beweglichkeit von Bodentruppen verbessern. Zugleich sieht es vor, viel Geld in die Raketenabwehr zum Schutz der Zivilbevölkerung zu stecken.
Fragile Lage in Nahost
Eine Art zweiten Jom-Kippur-Krieg sieht Israel nicht kommen. Doch das macht sein Umfeld nicht zwangsläufig sicherer. Der Nahe Osten ist in einer fragilen Lage. Die Entwicklungen in Ägypten sind unvorhersehbar. In Syrien bekämpfen sich die unterschiedlichsten Gruppierungen und das Assad-Regime nach wie vor heftig. Hier mischt auch die libanesische Hisbollah mit, vermutlich unterstützt von Israels Erzfeind Iran.
Verteidigungsminister Mosche Jaalon bezeichnete die Pläne als «revolutionär». Vom Einsparen der Sicherheit seines Landes will er nichts wissen. Das Zukunftsdenken gehe nicht auf Kosten der Gegenwart, beteuert Jaalon.
Israel muss eine Gratwanderung schaffen. Die Mittel werden geringer. Doch die militärische Ambition ist unverändert: Laut Generalstabschef Gantz müssen die Streitkräfte der Zukunft im Kriegsfall in der Lage sein, den Gegner binnen Stunden und Tagen vernichtend zu schlagen. Denn in Israels militärischen Kreisen geht die Angst um. Feinde könnten die Zivilbevölkerung bei einem längeren Konflikt durch Tausende Raketen schwer treffen.