Rundgang in Lens
Lens, die Stadt der Minen und des Fussballs. Fussball prägte die Freizeit der Arbeiter in den Kohleminen. Das ist Jahrzehnte her, als es in der Region noch Arbeit gab. Und Zuversicht.
Heute ist das alles Vergangenheit und reif fürs Museum – im wahrsten Sinne des Wortes: Denn dank einem Ableger des Musée du Louvre will die Stadt wieder an bessere Zeiten anknüpfen. Ob dies gelingt? SRF-Korrespondent Charles Liebherr hat sich umgesehen.
Als erstes trifft er auf Rosline. Sie eilt gerade über den Platz, vorbei an einer jungen Mutter. Sie schiebt ein weinendes Kind vor sich her.
«Das war einfach viel schöner damals»
Links, rechts, an allen Fassaden der Glanz vergangener Zeiten. Rosline träumt: «Überall Menschen auf der Strasse, damals.» Damals, das war in den 1960er Jahren. Rosline steht in dieser Zeit hinter der Theke der Fischhandlung ihrer Eltern, erobert Herzen, wirft sich ins Leben.
Bei jeder Gelegenheit ein Volksfest, Carneval im Juni, Märkte überall in der Stadt. Das war Roslines Leben. Sie fand den Mann fürs Leben, einen Minenarbeiter natürlich, hatte Kinder und den Blick nur nach vorne gerichtet. «Niemand dachte daran, dass das alles einmal vorbei sein könnte. Das war einfach viel schöner damals.»
Das schwarze Gold von Lens
Was für eine Geschichte, trotz der Vergangenheit, die zwei Weltkriege brachte und Schutt und Asche. 9 von 10 Häuser in Lens mussten wieder aufgebaut werden. Immer um die 19 Stollen der Kohleminen herum. Wer Arbeit suchte, kam nach Lens, ins Kohlebecken.
Sie kamen von überall her, aus Frankreichs, aus Polen, Rumänien, dann aus Algerien, Tunesien, Marokko. Alle packten Helm, Lampe und Pickel unter den Arm und rissen mit vereinten Kräften das schwarze Gold aus dem Boden, welches ganz Frankreich antrieb. 100 Jahre dauerte das Fest. Seit 20 Jahren aber steht alles still.
Diese Geschichte ist eine Last – und ein Erbe zugleich. So reich ist das Erbe, dass die UNESCO 2012 die ganze Region unter Schutz stellte. Der Tourismus-Verein organisiert seither Rundgänge; und hält an jeder Ecke der Stadt die Vergangenheit am Leben.
«Lens geht es miserabel»
Patric ärgert sich über dieses Freiluft-Theater. Er gehört zur ersten Generation, die in den Kohleminen keine Arbeit mehr fand. Der ehemalige Gleisbauer, wischt vor dem Bahnhof den schwarzen Staub zusammen, auch ein Erbe der Belle Epoche.
«Miserabel geht es Lens. Im Zentrum schliessen alle Läden. Nach 18 Uhr ist die Stadt tot.» Er zeigt auf das Apollo, das ehemalige Kino. Dies war der Treffpunkt der Jugend. Es steht nur noch die graue Fassade wegen der Fresken. Ein Ärgernis, sagt Patric.
«Lens, das ist nur noch der Louvre. Was hat uns das gebracht? Auf jeden Fall keine neuen Arbeitsplätze.» Der kleine Ableger des grossen Louvre steht auf Minenfeld 9. Viel Glas, fein gebürstetes Aluminium und weitläufige Pavillons. Das Ganze ist eine Inszenierung aus Paris. Das Museum soll Touristen in Lens festhalten. Funktioniert nicht, beobachtet Patric. «Die Touristen bleiben nicht. Sie kommen einen Tag mit dem Zug und gehen am Abend wieder heim», sagt Patric.
Objekte des schlechten Gewissens
Vielleicht liegt es am Konzept des Louvre Lens. Wie sieht dieses Konzept aus? Bruno Capelle, den Mediensprecher des Museums fasst es folgendermassen zusammen: «Es ist eine punktuelle Spiegelung der Sammlung aus Paris.» Insgesamt stehen 205 Werke in einem Saal. Früher oder später reisen alle wieder zurück nach Paris. «In Lens haben wir keine Sammlung. Wir stellen einfach die Schätze aus Paris aus», erklärt Capelle.
Wer sucht, findet zwischen den Ausstellungsobjekten auch ein bisschen schlechtes Gewissen. Denn der Louvre ist immer noch ein Fremdkörper in der Stadt. In Lens gabe es nie ein Museum.
Das war auch überflüssig. Kultur, Fan-Kultur, die beste im Land, gab es jedes Wochenende im Scheinwerferlicht des Fussballstadions. Der Racing Club de Lens wurde 1905 von Minenarbeitern gegründet. Die Clubfarben sind Blut und Gold. Das Stadion bauten die Mineure selber, in ihrer Freizeit.