SRF News: Wieso ist der Tod von Abu Mohammed al-Adnani ein Verlust für den IS?
Guido Steinberg: Abu Mohammed al-Adnani war, wie sich in den letzten Monaten herausgestellt hat, ein Angehöriger des innersten Führungszirkels des IS. Deshalb ist sein Tod ein Verlust – auch auf operativer Ebene, ganz einfach weil er der Hauptverantwortliche war für Anschläge im Ausland. Mittlerweile wissen wir, dass die Amerikaner versucht haben, ihn mit einem Luftschlag zu töten. Das haben sie selbst zugegeben. Der IS hat verkündet, das Adnani tatsächlich tot sei. Das bedeutet, dass wir noch nicht genau wissen, ob das wirklich stimmt. Wenn die USA und der IS sich einig sind, kann man in der Regel zwar davon ausgehen, dass die Information stimmt. Ich bin aber trotzdem etwas zurückhaltend, weil es in den letzten Jahren immer wieder Meldungen von toten IS-Persönlichkeiten gab, die sich nicht bestätigt haben.
Die USA sprechen von einem gezielten Schlag gegen Adnani. War er für die USA ein wichtiges Ziel?
Ja, das ist sicher so. Das haben die Amerikaner auch in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht. Es war seit etwa drei bis vier Monaten allgemein bekannt, dass Adnani derjenige ist, der innerhalb der Struktur des IS eine kleine Abteilung leitet, die für externe Operationen zuständig ist. Diese war wahrscheinlich auch ein Teil des Geheimdienstes des IS. Diese kleine Abteilung hat Attentäter in die ganze Welt geschickt. Vor allem in die Türkei, aber auch nach Frankreich und Belgien. Und sie hat versucht, Attentäter nach Deutschland zu schicken. Deshalb war dieser Adnani den Amerikanern so ungeheuer wichtig.
Al-Adnani war auch Propagandachef beim IS. Er hat Einzeltäter dazu aufgerufen, Anschläge auszuüben. Wie wichtig waren diese Aufrufe?
Adnani war tatsächlich erst einmal nur als IS-Sprecher bekannt. Dass er beim Geheimdienst und bei ausländischen Operationen so wichtig ist, haben die meisten Beobachter erst sehr viel später erfahren. Sehr einflussreich war sein grosser Aufruf vom September 2014. All jene, die es nicht nach Syrien und in den Irak schafften, sollten doch bitte Anschläge allein verüben, mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stünden. Dieser Aufruf hatte durchaus Folgen. Vor allem dort, wo der IS als Organisation nicht stark vertreten ist. Da hatten wir zum Beispiel den Anschlag in Orlando, Florida, der wahrscheinlich auf den Aufruf zurückging. Und wir haben auch in Europa bemerkt, dass die Anzahl Einzeltäter ohne eine direkte Verbindung zum IS zugenommen hat. Ich warne aber davor, diesen Trend überzubewerten.
Abu Mohammed al-Adnani hatte keine aussergewöhnlichen Fähigkeiten.
In den meisten Fällen ist in Europa nämlich von Einzeltätern berichtet worden, die gar keine waren. Sie waren teilweise vorher beim IS und hatten zumindest einen intensiven Kontakt mit dem IS. Das Problem mit diesen Anschlägen ist, dass eine regelrechte Strategie dahintersteckt. Der IS schickt Leute zurück nach Europa, die kleine Anschläge verüben, um unsere Sicherheitsbehörden zu beschäftigen. Damit gewinnen andere IS-Mitglieder Zeit, um einen grösseren Anschlag zu planen.
Er war also ein wichtiger Stratege. Wie schwierig wird es für den IS, ihn zu ersetzen?
Er wird zu ersetzen sein. Ganz einfach deshalb, weil er keine aussergewöhnlichen Fähigkeiten hatte. Er war ein Syrer, das ist sehr speziell in der Führungsspitze des IS, der stark irakisch geprägt ist. Er hat aber fast sein gesamtes Leben in Syrien und im Irak verbracht und lediglich im IS und in den Vorgängerorganisationen von sich reden gemacht. Solche Leute hat der IS in grösserer Zahl, so dass der Verlust auszugleichen sein wird. Und vor allem seine kleine Einheit für ausländische Operationen und der IS-Geheimdienst bestehen fort. Da gibt es eine ganze Menge Leute, die wir noch nicht kennen, und die weiterhin Anschläge planen und die Kontrolle über Gebiete in Syrien und Irak haben werden. Das wird noch sehr lange dauern, bis der IS nachhaltig geschwächt ist – trotz dieses kleinen Erfolges.
Das Gespräch führte Marc Allemann.