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Arbeiter richten im Juli 2012 die Räumlichkeiten in Tripolis her. Hier tagt die Nationalversammlung.
Legende: «Under Construction»: Arbeiter richten 2012 die Räumlichkeiten in Tripolis her. Hier tagt die Nationalversammlung. Reuters

International Libyen: Eine Baustelle der Demokratie

Die Nationalversammlung hat vor einem Jahr die Zügel des Landes in die Hand genommen. Das ist ein wichtiger Schritt zu einem demokratischen Libyen. Doch gewisse Kräfte versuchen, das nordafrikanische Land zu destabilisieren – und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück.

Die Erwartungen der Libyer waren hoch – sehr hoch. Wie konnte es auch anders sein? Das Land hatte sich – unterstützt vom Westen – im Oktober 2011 seines langjährigen Diktators Muammar al Gaddafi entledigt. Und Mustafa Abdel Dschalil, der Vorsitzende des Übergangsrates, fachte die Euphorie bei der Machtübernahme des Parlaments zusätzlich an: «Wir schliessen damit ein Kapitel der Diktatur und schlagen eine neue Seite im Aufbau des Staates Libyen auf».

Seit einem Jahr tagt das vom Volk gewählte Parlament – und viele Libyer sind enttäuscht. Beat Stauffer, SRF-Mitarbeiter im Maghreb, sagt: «Die Erwartung der Menschen war unrealistisch hoch.» Das Parlament habe unmöglich die Hoffnungen und Wünsche der Menschen erfüllen können.

Ein grosser Schritt in Richtung Demokratie

Dabei hat das heutige Libyen schon einiges erreicht – trotz einer schwierigen Lage. Die Menschen wählten eine Volksvertretung. Diese sprach sich dann für eine Regierung aus. «Es ist ein ganz entscheidender Schritt, den man gar nicht genug schätzen kann», sagt Stauffer. Ein Schritt in Richtung eines demokratischen Rechtsstaats.

Damit war das Fundament gelegt. Doch die weiteren Aufbauarbeiten gestalten sich schwierig. Bewaffnete Milizen weigern sich nach wie vor, ihre Waffen abzulegen. Und sie setzten das Parlament unter Druck. Ihre Forderung: Alle Funktionäre aus den Reihen des ehemaligen Machthabers Gaddafi müssen aus staatlichen Ämtern ausscheiden. Das Parlament gab dem Druck nach. «Viele Beobachter finden, dass damit die besten Leute, die sich für Libyen eingesetzt haben, eliminiert worden sind», sagt Stauffer.

«Ein ganz komplexes Problem»

Man könne nicht die alleinige Schuld den lokal und regional verankerten Milizen zuschieben. Sie seien skeptisch gegenüber dem heutigen Staat und der Regierung, so Stauffer. Und sie scheinen auch einen Grund dafür zu haben. Der Staat ist zu schwach. Das Gewaltmonopol liege nicht bei ihm, sondern er sei auf die bewaffneten Milizen angewiesen. SRF-Korrespondent Stauffer urteilt: «Das ist ein ganz komplexes Problem.»

Zudem haben die Parlamentarier selbst das Misstrauen der Menschen gegen sie geschürt. Denn die gängige Kritik ist: Die Parlamentarier seien zu weit von den normalen Bürger entfernt; sie hätten sich bequem in Luxushotels eingerichtet. Und die Vorwürfe gehen weiter: Von ineffizienter und zu langsamer Arbeit ist die Rede.

Die Ohnmacht des Staates

Das kratzt an den demokratisch-legitimierten Instanzen. Laut Stauffer spielen diese eher eine Nebenrolle. Andere Kräfte würden das Spiel bestimmen. «Islamisten versuchen eine islamische Wende zu erreichen. Dschihadisten aus Mali bauen in Libyen eine neue Basis auf. Alte Kräfte aus dem Umfeld des Gaddafi-Regimes versuchen, den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats zu verhindern.»

Diese Akteure wollen Libyen destabilisieren – mit Bombenanschlägen und politische Morden. Diesen Kräften stehe der Staat ohnmächtig gegenüber, sagt Stauffer: «Das muss gestoppt werden. Wenn das nicht gelingt, blickt Libyen einer sehr schwierigen Zukunft entgegen.»

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