Der libysche Übergangsregierungschef Ali Seidan hat sich nach seiner Entmachtung durch das Parlament nach Europa abgesetzt. Das verlautete aus dem Umfeld des ehemaligen Ministerpräsidenten. Laut dem Nachrichtensender Al-Arabija ist er in Deutschland eingetroffen.
Ehemalige Revolutionsbrigaden, die heute formell der Armee unterstehen, vertrieben derweil bewaffnete Anhänger einer Separatistenbewegung aus der Küstenstadt Sirte. Die libysche Nachrichtenagentur Lana meldete, die Truppen wollten die Kämpfer der «Autonomieregierung» in der Stadt Adschdabija in den kommenden Tagen aus allen Ölverladehäfen vertreiben, die sie unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
Interesse an eigener Bereicherung
Seidan hatte vor dem Aufstand gegen den Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 mehr als 30 Jahre als Oppositioneller im Exil gelebt. Gegen ihn war am Dienstag, direkt nachdem ihn das Parlament per Misstrauensvotum abgesetzt hatte, ein Haftbefehl erlassen worden. Laut Medienberichten werden ihm Korruption und Misswirtschaft in Zusammenhang mit illegalen Ölverkäufen der Separatisten vorgeworfen.
Teile der Separatistenbewegung verfolgen nach Einschätzung unabhängiger Beobachter keine politischen Ziele, sondern sind vor allem daran interessiert, sich zu bereichern. Die Kämpfer, die den Anführer der Separatisten, Ibrahim Dschadran, unterstützen, gehörten einst Wachmannschaften an, die mit dem Schutz der Ölanlagen beauftragt worden waren.
Parlamentswahlen im Juli
Seidans wichtigster Gegenspieler war in den vergangenen Monaten Parlamentspräsident Nuri Abu Sahmein gewesen. Mehrere libysche Kommentatoren äusserten in arabischen Talkshows Zweifel an den Vorwürfen gegen den Ex-Regierungschef. Wer neuer Regierungschef werden soll, ist noch unklar. Die Amtsgeschäfte soll in den kommenden zwei Wochen Verteidigungsminister Abdullah al-Thinni führen.
Das Parlament hatte in seiner Sitzung am Dienstag auch Parlamentswahlen für Juli angekündigt. Verschoben wurde die Entscheidung, ob der künftige Präsident vom Parlament oder direkt vom Volk gewählt werden soll. Nach Einschätzung der Zeitung «Libya Herald» wollen die Muslimbrüder eine Direktwahl verhindern, weil ein Kandidat aus ihren Reihen dann keine Chancen hätte.