Das hat es noch nie gegeben: Angela Merkel brachte fast ihr ganzes Kabinett zum Routinetreffen mit der israelischen Regierung mit. Damit wurde für alle sichtbar dokumentiert, wie wichtig die Beziehungen Deutschlands zu Israel sind. Dieses Deutschland, von dem im Zweiten Weltkrieg der Holocaust ausging und das sich deshalb dem jüdischen Staat seit jeher besonders verpflichtet fühlt.
Auf dem Tempelberg in Jerusalem flogen heute Steine und Gummischrot, während die Kanzlerin mit dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu ein paar Kilometer entfernt am Konferenztisch sass. Erzürnte Palästinenser protestierten gegen einen geplanten Vorstoss im israelischen Parlament, den politisch so aufgeladenen Tempelberg unter ausschliesslich israelische Souveränität zu stellen.
Der Vorstoss stammt von einem Abgeordneten aus Netanyahus rechtsnational geprägter Likud-Partei. Und er ist so radikal, dass er in der Knesset nicht durchkommen dürfte.
Doch der Streit führt der deutschen Kanzlerin heute gleich direkt vor Augen, wie sehr die Region in der Logik der Konfrontation gefangen bleibt. Und wie wenig noch von der Friedenslösung zu erkennen ist, die US-Aussenminister John Kerry seit letztem Sommer mit unermüdlichen Besuchen zu erzwingen sucht.
Wachsende Angst vor Boykotten
Netanyahu lobte die Kanzlerin zwar als Freundin Israels. Sie habe stets dafür gekämpft, dass ein Land wegen der Siedlungspolitik nicht mit Boykotten bestraft werde. Diese Angst vor internationalen Boykotten ist in den letzten Monaten tatsächlich zu einem grossen Thema in Israel geworden.
Beim Antrittsbesuch des deutschen Aussenministers Frank-Walter Steinmeier im Januar soll der israelische Amtskollege Avigdor Lieberman von Deutschland mehr Unterstützung gefordert haben. Der «besondere Partner» verstecke sich hinter der Europäischen Union und tue zu wenig, um israel-kritische Vorstösse zu verhindern oder doch zu verzögern.
Die liberale Zeitung «Haaretz» zitierte zu Merkels Besuch deutsche Medien: Netanyahu und Merkel hätten sich in der Vergangenheit am Telefon auch schon mal angeschrien. Denn Berlin halte Netanyahus Regierung im Grunde für unfähig und unwillig, den Friedensprozess mit den Palästinensern voranzutreiben.
Merkel: Boykott für Deutschland keine Option
Doch von alledem war heute in der Öffentlichkeit nicht die Rede. Deutschland, dieser besondere Partner, will Israel künftig sogar diplomatisch vertreten in den Ländern, in denen es selbst nicht präsent ist. Das sei ein wirklicher Vertrauensbeweis, sagte die Kanzlerin in Jerusalem, die sichtlich bemüht schien, diesen Besuch mit grossem Gefolge aus Berlin in guter Stimmung zu absolvieren.
Boykottaufrufe wegen des Siedlungsbaues lehnte Merkel explizit ab. Das sei für Deutschland keine Option. Sie setze stattdessen auf Kerrys Verhandlungsmission. Und die Zweistaatenlösung: Mit einem israelischen Staat und einem palästinensischen Staat, der ein zusammenhängendes Territorium hat.
Mit andern Worten: Nicht mit einem palästinensischen Flickenteppich, zerrissen durch immer neue jüdische Siedlungen, wie heute. Kompromisse beider Seiten seien dafür Voraussetzung, mahnte die deutsche Kanzlerin dann doch – in einem kurzen Anflug von sanfter öffentlicher Kritik.
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