SRF News: Was ist Ihnen in den ersten Minuten nach der Nachricht vom Erdbeben in Nepal durch den Kopf gegangen?
Manuel Bessler: Ich bekam eine SMS von unserem Pikettdienst: «Erdbeben der Stärke 7,5 in Nepal mit einem Epizentrum von rund 10 Kilometern.» Da wusste ich, jetzt ist es passiert. Wir haben ein solches Beben schon lange erwartet.
Welches waren die ersten Schritte, die Sie unternahmen?
Ich rief den Pikettdienst an und berief eine sogenannte Einsatzleitung ein. Dieses Gremium sass den ganzen Tag zusammen, sammelte Informationen, arbeitete mit Satellitenbildern, definierte die ersten Reaktionen und fällte erste Entscheide.
Bereits am Sonntag hat das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) ein Soforteinsatzteam in die Katastrophenregion geschickt. Weshalb haben Sie sich dafür entschieden und nicht für eine grosse Rettungskette?
Das war die grosse Diskussion am Samstag: Welches ist das richtige Instrument, um auf diese Katastrophe zu reagieren? Es war eine schwierige Entscheidung. Wir wussten, dass das Management des Flughafens in Kathmandu mit dem Abfertigen der Flüge nicht mehr nachkommt und bereits verschiedene Flieger über der Stadt kreisten oder gar nach Neu Delhi weggewiesen wurden.
Das war ein wichtiger Grund, weshalb wir uns gegen eine Rettungskette – 100 Mann, 20 Tonnen, 18 Hunde – entschieden haben. Ich hatte die Garantie nicht, dass sie innerhalb von 48 Stunden nach dem Erdbeben in Kathmandu gelandet und bereit sein wird.
Unterdessen ist auch ein zehnköpfiges Ärzteteam aus der Schweiz in Nepal im Einsatz. Es hilft vor allem in der Geburtsabteilung eines Spitals, 80 Kilometer von Kathmandu entfernt. Weshalb dort?
Es war sehr schnell klar, dass eine Unterstützung der medizinischen Versorgung ein grosses Bedürfnis ist. Nach dem grossen Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 hatte es zwar viele Ärzte, die sich um die Verletzten kümmerten. Doch die fehlten dann für die normale Behandlung und Pflege von Patienten – das Leben geht trotz des Bebens weiter, es werden Kinder geboren und Menschen erkranken, brechen sich einen Knochen oder haben einen Blinddarm. Aufgrund dieser Erfahrung haben wir ein Mutter-Kind-Modul entwickelt, das einen Teil dieser Lücke abdeckt.
Wenn Sie die aktuelle Situation mit anderen Erdbeben-Katastrophen vergleichen: Wo liegen die Besonderheiten Nepals ?
Neben den logistischen Schwierigkeiten bezüglich Flughafen und Strassen ist eine der grossen Herausforderungen in Nepal die Trümmerlage. Satellitenbilder haben sehr schnell gezeigt, dass vor allem alte Gebäude aus Backsteinen und Lehmziegeln eingestürzt sind. Das heisst, dass vor allem Schutthäufen ohne Hohlräume übrig blieben, die im Gegensatz zu anderen Trümmerlagen wenig Überleben erlauben.
Nepal wird über Jahre hinweg auf massive internationale Hilfe angewiesen sein, um den Wiederaufbau zu meistern. Wie sieht die langfristige Hilfe der Schweiz aus?
Nepal war, ist und wird ein Schwerpunktland der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) bleiben. Die Entwicklungshilfe, die also schon lange vor Ort ist, wird Hand in Hand mit der Nothilfe arbeiten. Ziel ist es, die Nothilfe bald zurückzuziehen und möglichst viel der Entwicklungshilfe zu übergeben. Letztere wird ihre Programme anpassen und den Fokus leicht ändern. Nepal wird also weiter ein wichtiges Land der Deza sein.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.