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Trauernde Frauen
Legende: Angehörige der Opfer trauern nach dem Anschlag in Dhaka. Keystone

International «Neue Dimension des Terrors» in Bangladesch

Der Terroranschlag in Bangladesch, bei dem 20 Geiseln, zwei Polizisten und sechs Angreifer ums Leben kamen, hat das südasiatische Land erschüttert. Es war der erste Anschlag dieser Art und Grösse. Südasien-Experte Christian Wagner äussert sich zu den Hintergründen und Auswirkungen.

SRF News: Stellt der gestrige Anschlag eine neue Dimension des Terrorismus in Bangladesch dar?

ChristianWagner: Der Anschlag bedeutet ohne Zweifel eine neue Dimension. Bislang hatten wir vereinzelt Angriffe auf Ausländer, auf gemässigte Muslime. Aber ein Anschlag in dieser Grössenordnung im Herzen der Hauptstadt Dhaka, das ist schon eine neue Dimension.

Dieser ganz gezielte Angriff auf Ausländer und Diplomaten. Ist das auch neu?

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Legende: swp

Dr. Christian Wagner ist Südasien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Ja. Ein Anschlag im Herzen Dhakas mit einer grösseren Tätergruppe durchzuführen, die offensichtlich auch mit modernen Waffen ausgerüstet war, zeigt, dass wir es hier mit sehr viel professionelleren Tätergruppen zu tun haben, als es eben bei anderen Anschlägen zuvor der Fall war. Dort wurden viele der Opfer mit vergleichsweise primitiven Waffen ermordet.

Weiss man schon etwas über die Hintergründe der Täter?

Wir haben ja das Bekenntnis vom Islamischen Staat. Wir hatten bereits in der Vergangenheit immer wieder Bekenntnisse des Islamischen Staates zu Anschlägen in Bangladesch. Wir sehen dort vermutlich das Gleiche, was wir in anderen südasiatischen Ländern wie Pakistan oder Afghanistan sehen: Dass sich vereinzelte lokale militante Gruppen zum Islamischen Staat bekennen. Auch in Rivalität und Auseinandersetzung gegenüber anderen militanten Gruppen.

Wie stark ist der islamistische Extremismus in Bangladesch, einem zu 90 Prozent muslimischen Land?

Umstrittener Prozess

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Im Prozess um die Aufarbeitung von Verbrechen während des Unabhängigkeitskrieges in Bangladesch im Jahre 1971 waren vor drei Jahren zahlreiche Mitglieder der islamischen Partei Jamaat-e-Islami wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. In vielen Fällen wurde die Todesstrafe verhängt. Dies führte zu Spannungen in der Gesellschaft.

Wir haben ein sehr breites Spektrum von verschiedenen militanten Gruppen. Die Gewalt begann vor drei Jahren, im Zuge der Kriegsverbrecher-Prozesse gegen die grösste islamische Partei, die Jamaat-e-Islami. Daraufhin kam es zu ersten Anschlägen. Das heisst, wir haben ein Spektrum von lokalen militanten Gruppen. Dann haben wir aber auch lokale Ableger sowohl von Al-Kaida als auch vom Islamischen Staat.

Wir haben hier also in den letzten drei Jahren eine Radikalisierung gesehen, die eben vermutlich ihren Ausgangspunkt hatte in diesen Kriegsverbrecher-Prozessen und den Todesurteilen .Und daraufhin haben dann verschiedene militante Gruppen mit dem Kampf gegen alle moderaten Kräfte im Land begonnen.

Die Kooperation mit dem IS – sind das Lippenbekenntnisse oder gibt es konkrete Hinweise auf personelle Zusammenarbeit?

Das ist bislang noch nicht so richtig klar. Man weiss, dass auch Bangladescher beim IS in Syrien gekämpft haben. Wir wissen nicht, ob es sich hier um Rückkehrer handelt oder ob es tatsächlich nur Lippenbekenntnisse sind.

Wir haben ja auch in anderen südasiatischen Gesellschaften erlebt, dass eben einzelne militante Gruppen auch durchaus in Konkurrenz stehen, eben Al Kaida und der IS. Wir wissen nicht, ob so eine ähnliche Entwicklung hier in Bangladesch zu beobachten ist. Aber es gibt hier vermutlich auch enge Verbindungen zu lokalen militanten Gruppen im Land.

Die Regierung weigert sich bisher, einen Zusammenhang zwischen internationalen Terror-Netzwerken und dem Islamismus im Land zu sehen. Warum?

Das ist vergleichsweise schwer einzuschätzen. Vielleicht setzt die Regierung auf ihre moderate, liberale Tradition. Man hatte die letzten grösseren Unruhen oder Probleme mit Terroristen Mitte der 2000er-Jahre. Dann war es lange vergleichsweise ruhig im Land. Jetzt eben erst gab es eine Radikalisierung als Reaktion auf die Kriegsverbrecherprozesse. Diese drehen sich auch immer wieder um die Frage, wieviel Religion es in einer muslimischen Gesellschaft geben soll.

Da hat sich die Regierung schwergetan. Vielleicht wollte man das Problem nicht wahrhaben. Man hat auch immer versucht, die Probleme auf die Opposition abzuschieben. Man hat das genutzt, um allmählich auch autoritäre Tendenzen gegenüber der Opposition durchzusetzen. Zudem gab es sehr gute Erfolge in der Zusammenarbeit mit Indien gegen eine Reihe von militanten Gruppen. Man hat sich sicher lange Zeit dieser Gefahr verweigert. Erst vor wenigen Wochen sind mehrere tausenden Personen verhaftet worden, aber die wirklich militanten Zellen im Land hat man damit offensichtlich nicht ausschalten können.

Premierministern Hasina Wajed verspricht nun, den Terrorismus auszumerzen. Was kommt da auf das Land zu?

Das wird vermutlich auch dazu führen, dass die autoritären Tendenzen im Land weiter zunehmen werden. Die Regierung wird wie in der Vergangenheit auch vermutlich den Antiterrorkampf nutzen, um gegen die Opposition – auch die liberale – vorzugehen.

Das wird militanten Gruppen vermutlich nur weiteren Zulauf bringen. Es scheint, dass es noch beträchtliche Lücken in der Aufklärung gibt, denn trotz dieser grossangelegten Verhaftungswelle konnten die Täter gestern Abend eine solche Aktion in Dhaka durchführen. Das zeigt, dass die Sicherheitskräfte bislang nicht wirklich wissen, wer sich hinter diesen Gruppen verbirgt.

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

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