Nichts lässt sich die EU mehr kosten als die Landwirtschaft. Sie frisst 60 Milliarden Euro pro Jahr und damit über 40 Prozent des EU-Budgets. Mit den neuen Regeln für eine grünere Ausrichtung und eine bessere Verteilung des gewaltigen Kuchens hat sich Brüssel denn auch schwer getan.
Grüne: Ungerechtigkeiten bleiben
Bauernaktivist José Bové als Mitglied der grünen Fraktion im EU-Parlament lässt kein gutes Haar an der nun beschlossenen Reform: Sie belasse die Ungerechtigkeiten zwischen den Bauern, mache die Landwirtschaft nicht grüner und sabotiere die Entwicklung des ländlichen Raumes, kritisierte er in der Debatte in Strassburg. Zugleich werde die Konkurrenz unter den Bauern verstärkt und deren Verhandlungsmacht gegenüber den Grossverteilern geschwächt.
Ungerecht sei die Reform unter anderem deshalb, weil die Direktzahlungen für Bauern nach wie vor von Land zu Land enorm schwankten und weil sie nach wie vor hauptsächlich an die Fläche gebunden seien, sagte Bové. Das heisst: Ein grosser Gemüsebauer mit Rekordernten auf seinem Land erhält enorm viel mehr Geld aus Brüssel als ein Bergbauer, der auf wenigen Hektaren mühsam Gras für seine Kühe mäht.
Dass die Landwirtschaftspolitik in Europa mit dieser Reform «gerecht» würde, behauptet auch EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos nicht. Immerhin sei sie nun aber ein bisschen gerechter, würden doch die Direktzahlungen neu austariert. Ciolos als einer der Hauptverantwortlichen wäre gern weiter gegangen. Sein Vorschlag, die Direktzahlungen ab einer gewissen Höhe zu deckeln, kam nicht durch.
Streitpunkt «Vorrangflächen»
Ciolos behauptet auch nicht, dass die europäische Landwirtschaft jetzt grün werde. Aber grüner schon. Dem deutschen CSU-Abgeordneten Albert Dess wird es gar schon zu grün. Ihn stört, dass Bauern neu auf fünf Prozent der Fläche den Ackerbau einschränken und dort zum Beispiel ökologisch wertvolle Hecken stehen lassen sollen. «Ackerland ist ein wertvolles und knappes Gut. Eine eingeschränkte Produktion auf solchen Vorrangflächen halte ich nach wie vor für unverantwortlich», erklärte Dess.
Die österreichische Sozialdemokratin Karin Kadenbach appellierte, nun bei den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten die Regeln für die Vorrangflächen zu beachten. Nach ihren Worten wäre im Grund ein Zehntel der Ackerflächen nötig gewesen, um der Ökologie und Artenvielfalt in Europa Rechnung zu tragen.
Viel Spielraum, aber keine Richtung
Die ökologischen Vorrangflächen sind nur eines von vielen Beispielen, wie diese grosse Reform zustande kam. Die ehrgeizigen Vorgaben der Kommission sind mit den Jahren von Parlament und Mitgliedstaaten abgeschliffen worden. Es wurde dafür gesorgt, dass den Staaten genügend Spielraum bleibt bei der Verteilung der Gelder aus Brüssel. Und so wurde die Reform eine Übung im Komparativ: Nicht gerecht, aber gerechter. Nicht ökologisch, aber ökologischer.
«Wir haben die Veränderungen für die Landwirte verträglich gehalten. Aber die Frage, wohin sich die europäische Landwirtschaft entwickeln soll, haben wir nicht beantwortet», bilanziert der deutsche christlich-konservative Abgeordnete Peter Jahr.
Bové träumt von nächster Reform
Herausgekommen ist also ein grosser Kompromiss, dem sogar der kritische José Bové etwas abgewinnen kann: Im Geiste wenigstens fange mit dieser Reform eine neue Landwirtschaftspolitik an. Auf dieser Grundlage sei er bereit, die Arbeit an der nächsten Reform für die Jahre ab 2020 anzupacken.