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International «Nicht alle gehen nach Syrien, um Menschen umzubringen»

Was tun mit Menschen, die in den Dschihad zogen und die nun wieder nach Europa zurückgekehrt sind? Braucht es Internierungslager, wie Frankreich es diskutiert? Oder Zwangsumsiedlungen? Die «Rundschau» hat darüber mit der Islamismus-Expertin Claudia Dantschke gesprochen.

SRF: Kann man IS-Rückkehrer heilen, Frau Dantschke?

Claudia Dantschke: Aus Deutschland sind 550 Menschen nach Syrien gegangen. Ich bin mir sehr sicher: Es gibt da eine ganze Menge junger Leute, die man Stück für Stück deradikalisieren kann.

Aber wir reden von Menschen, die geschult wurden zu töten. Ist es nicht naiv zu glauben, diese Menschen könne man wieder auf den richtigen Weg bringen?

Schauen wir die Rückkehrzahlen in Deutschland an. 180 sind zurückgekommen, zeitweise zumindest. Davon haben 30 Kampferfahrungen. Was ist mit den 150 anderen? Nicht alle gehen dorthin, um zu kämpfen, um Menschen umzubringen. Der IS will ein Kalifat errichten. In gewisser Weise soll dort Geschichte geschrieben werden. Wer dorthin geht, will die erste Generation sein, die das Weltkalifat aufbaut.

Zur Person

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Claudia Dantschke
Legende: srf

Die Journalistin und Publizistin Claudia Dantschke studierte Arabistik und beschäftigt sich mit Islamismus in Deutschland. Unter anderem leitet sie eine Beratungsstelle für Familien, welche die Radikalisierung ihrer Kinder fürchten.

Das ist doch Verharmlosung! Der IS bringt Menschen auf brutalste Weise um.

Verharmlosen darf man das nicht. Der IS führt ein totalitäres System. Wer naiv dorthin geht, wird weiter radikalisiert. Wer 1, 2 Jahre in dieses System integriert ist, der wird sich so radikalisiert haben, dass die Chance, ihn zurückholen zu können, gering sind. Aber manche finden vorher den Absprung. Es gibt auch solche, die nach 3 Monaten wieder nach Hause wollen.

Wie soll man damit umgehen? In Frankreich spricht man von Internierungslagern, in Grossbritannien von Zwangsumsiedlungen, in Deutschland von Spezialpässen. Ein Abgeordneter sagt: «Wir sind im Krieg». Hat er Recht?

Ich halte eine solche Rhetorik für unheimlich gefährlich. Wenn wir mit gefährdeten Jugendlichen arbeiten, dann mit dem Ziel, dass sie eben gerade nicht nach Syrien wollen. Das können wir aber nur, wenn wir alternative Perspektiven bieten. Stellen Sie sich vor: Wenn sie einen solchen Rückkehrer-Ausweis haben, wer gibt ihnen dann noch Arbeit? Kriegen sie noch eine Wohnung?

Ist das Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit denn nicht höher zu gewichten als die Therapien mit derart ideologisierten Menschen?

Ich kann das nachvollziehen. Aber wenn wir jemanden aus dieser Szene herausholen, retten wir damit Menschenleben. Deradikalisierung ist immer auch Opferschutz.

Ein junger Dschihad-Rückkehrer aus der Westschweiz ist letzte Woche zu 600 Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden und muss sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen. In Deutschland gab es kürzlich drei Jahre Haft. Das passt doch nicht zusammen.

Es kommt darauf an, was jemand getan hat und was man ihm nachweisen kann. Was war die Motivation? Was hat jemand getan? Mit welcher Motivation kommt jemand zurück? Da gibt es natürlich welche, die sind eine Gefahr. Andere sind traumatisiert und brauchen psychologische Hilfe.

Sie sprachen von Deradikalisierung. Wie soll das denn funktionieren?

Deradikalisierung ist ein sehr komplexer Prozess – aber immer individuell und auf die einzelne Person zugeschnitten. Wir müssen die betroffenen Personen zum Nachdenken bringen.

Schön und gut. Aber es gibt Leute, die glauben das nicht. Die gehen auf die Strasse, um gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren. Verstehen Sie diese Leute?

Ich verstehe es, aber akzeptiere es nicht. Diese Leute gehen wegen 1000 Sachen auf die Strasse. Letztlich geht es da auch um eine gewisse Politikferne, um das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein. Aber Deutschland und Europa stehen ganz einfach nicht davor, islamisiert zu werden. Natürlich kann ich verstehen, wenn jemand Angst hat angesichts der Brutalität des IS. Aber es ist wichtig, die Diskussion rational zu führen. Die Gefahr nicht zu verschweigen – aber ohne in Hysterie zu verfallen.

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